stefan kuzmany über Alltag
: Bin ich schön?

Eine Geschichte über Schweinsbraten, Mühe und Entsagung

Der Pizzamann kann es möglicherweise noch nicht verstehen. Ich weiß das nicht genau, denn wir reden nicht mehr miteinander. Genauer: Ich rede nicht mehr mit ihm. Die Gefahr wäre zu groß. Zu schnell würde ich in das alte Muster zurückfallen. Na gut, ich könnte sagen: „Bitte diesmal einen Salat.“ Aber so etwas hatte ich doch nie gesagt.

Ernährung ist Gewohnheit. Wenn ich vor dem Pizzamann stand, sagte ich nur einen Satz, jeden Tag, immer exakt dieselben Worte: „Bitte ein Stück Pizza zum Mitnehmen, nicht einpacken, keine Peperoni, und dazu eine Cola.“ Es ging mir immer schneller von den Lippen: „BitteeinStückPizzazumMitnehmennichteinpackenkeinePeperoniunddazueineCola.“ Doch, es gab auch Variationen des Mittagessens. Manchmal ließ ich einpacken. Und ich änderte meine Gewohnheiten: „BittezweiStückPizzazumMitnehmennichteinpackendazueineFanta.“ Als ich mir einmal zufällig zuhörte, sagte ich gerade Folgendes zum Pizzamann: „BittedreiStückPizzazumMitnehmenunddazueineColaundeineFanta.“ Es war Januar und ich dick.

Ende Februar nahm sich meine Lieblingsfaschistin, die ein gutes Händchen für Manipulation und Propaganda hat, ein Blatt Papier und zeichnete eine Tabelle: links die Monate bis zum September, rechts mein Gewicht. Aktuell: 85 Kilo. Soll: 70. Daneben zeichnete sie einen wulstigen, wurstförmigen Körper mit einem Rettungsring und einem breiten Gesäß. Dann pinnte sie die Tabelle an die Wand neben der Küchentür. Dann legte sie sich auf den Boden und machte ihre Bauchmuskelübungen. Sie war noch nie dick. Ich legte mich neben sie auf den Boden und versuchte es auch. Sie macht immer hundert, dann wird es ihr zu langweilig. Ich kam auf zehn. Dann blieb die Luft weg. Sie sagte: „Ist Übungssache.“ Wir gingen erst mal einen Schweinsbraten essen. Ende März. Die Tabelle neben der Küchentür. Besuch kam, sah und lachte. Ich versuchte den Eindruck aufrechtzuerhalten, dass mit der lustigen Karikatur gar nicht ich gemeint sein könne. Dabei trug ich mein Hemd über der Hose. Wir gingen einen Schweinsbraten essen.

Ende April. Keine Eintragung in die Tabelle. Kollege hat unglaublich abgenommen. Mit Pulver der Marke Herbalife, das mit einem Direktmarketingsystem vertrieben wird und auch schon mal unter Scientology-Verdacht stand. Zwanzig Kilo hat er auf diese Weise verloren. Sieht jetzt angeblich besser aus als ich. Sehr frustrierend. Ging erst mal zu McDonald’s und sagte: „BitteeinBigMacMaxiMenumitColadazueinenCheeseburgerundsechsChickenMcNuggetsmitsüßsaurerSaucezumHieressen.“

Ende Mai. Mit Freunden beim Schweinsbraten über das Abnehmen diskutiert. Meine These: Das ist wie eine umgekehrte Schwangerschaft. Erst sieht man nichts, und dann geht es ganz schnell. Ein zufällig anwesender Schwede wies mich darauf hin, dass das erstens Quatsch sei und zweitens unlogisch und dass drittens die Apfelschorle, die ich da vor mir stehen hatte, vermutlich mehr Kalorien habe als sein Bier. Keine Eintragung in die Tabelle.

Jetzt. Beim Tischtennis den Pulverfresser geschlagen. Kollegen belustigen sich über meine Obstschüssel. Mein Magen hingegen reagiert gereizt. Kein Schweinsbraten. Keine Pizza. Kein Bier. 83,5 Kilo. Habe das Gefühl, unglaublich abzunehmen. Kollegin ist angeblich im sechsten Monat schwanger, man sieht aber überhaupt nichts. Man darf aber auch nicht fragen. Am Ende ist sie gar nicht schwanger und denkt, man halte sie für zu dick. Aber die Anfechtungen lauern überall, auch daheim: Besuch kommt und bringt einen Kasten Bier mit. Legt Bier in den Kühlschrank. Bietet Bier an. Will später noch ausgehen. Was soll ich tun? Pizzamann, gib mir eine Antwort! Doch der Pizzamann kann mich nicht verstehen. Fortsetzung folgt

Fragen zum Kollegen?kolumne@taz.de