Warten auf die Sozis

Die SPD hat das Interesse an einer aktiven Politik für Schwule und Lesben offenbar verloren. Dabei hat sie ihre gesellschaftspolitischen Versprechen noch nicht eingelöst

Eine moderne Gesellschaftspolitik macht ein Gemeinwesen erst reformfähig

Eine aktive Politik für Lesben und Schwule findet mit der SPD derzeit nicht statt. Allenfalls nehmen sozialdemokratische Politikerinnen und Politiker weitere Emanzipationsschritte hin. Innerlich hat sich die SPD auf diesem Feld der Gesellschaftspolitik bereits von den Grünen verabschiedet und sich FDP und CDU zugewandt.

Das ist deshalb erstaunlich, weil viele Wählerinnen und Wähler mit ihrer Entscheidung bei den Bundestagswahlen für eine moderne Gesellschaftspolitik gestimmt haben. Diese Wählerinnen und Wähler haben Gerhard Schröder die Kanzlerschaft gerettet. Seine Mehrheit wäre ohne das klare Votum von Lesben und Schwulen für Rot-Grün nicht zustande gekommen. Trotzdem meint die SPD offenbar, mit Lesben-und-Schwulen-Politik keinen Staat mehr machen zu können. Damit fällt sie in alte Glaubenssätze zurück. Vor 1998 gab es das Dogma, dass Politik für Lesben und Schwule schädlich für die Mehrheitsbeschaffung ist. Diese Auffassung folgt ungefähr dem Muster: Was soll ich mit der Homoehe, wenn ich statt dessen den Transrapid bauen kann? Heutige Vertreter dieser politischen Linie wie etwa NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück sind würdige Nachfahren der Betonfraktion der SPD.

Es schmerzt, dass gesellschaftliche Reformer in der SPD derzeit nicht sichtbar sind. Möglicherweise sind sie nur in der inneren Emigration. Jedenfalls sucht man vergebens nach Vertreterinnen oder Vertretern dieser Partei, die bereit wären, die in der ersten rot-grünen Koalition begonnenen Projekte fortzusetzen. Auf keinen Fall sollte man sich die Mühe machen, im Bundesministerium der Justiz nach ihnen zu suchen. Denn Brigitte Zypries scheint keine politischen Ziele zu verfolgen. Sie gibt die Frau ohne Eigenschaften.

Doch der Schein trügt. Die Kraft der Justizministerin liegt im Negativen. Sie zieht Reformvorhaben an und verschluckt sie auf Nimmerwiedersehen. Aktuelles Beispiel: der längst überfällige Diskriminierungsschutz für Lesben und Schwule. Die Vorgängerin von Brigitte Zypries, Hertha Däubler-Gmelin, war mit Sicherheit keine einfache Verhandlungspartnerin. Aber sie hatte immerhin die Kraft, mit der Lebenspartnerschaft das wichtigste gesellschaftspolitische Reformvorhaben der letzten Wahlperiode durchzusetzen.

An Brigitte Zypries dagegen fällt nur Mangel an Initiative auf. Zwar hat sie kürzlich erklärt, nun doch mit der Erweiterung der Lebenspartnerschaft einen kleinen Teil der Wahlversprechen einzulösen. Doch diese Ankündigung war unkonkret, und sie kommt sehr spät.

Da war sogar der Hamburger Justizsenator Roger Kusch schneller. Der CDU-Politiker ist bislang zwar eher nicht durch moderne Gesellschaftspolitik aufgefallen. Aber selbst er kündigte schon vor Monaten an, das Hamburger Landesrecht an die Lebenspartnerschaft anpassen zu wollen. Man darf zwar nicht erwarten, dass Kusch Lebenspartnerschaften wirklich gleichstellen will. Aber schon seine bloße Ankündigung geht weiter als die meisten Aktivitäten seiner SPD-Kollegen.

Kein einziges sozialdemokratisch geführtes Justizressort hat es bisher für nötig gehalten, konkrete Schritte in Richtung Anpassung des Landesrechts zu machen. Dabei enthalten die Gesetze der Länder zahlreiche Vorschriften, die die Lebenspartnerschaft diskriminieren. Ein Anpassungsgesetz ist bisher nur in Berlin Wirklichkeit geworden, initiiert vom damaligen grünen Justizsenator Wolfgang Wieland, nebst einem dem Thema zugeneigten SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit. Außerdem unternimmt derzeit Schleswig-Holstein unter der grünen Justizministerin Anne Lütkes Schritte zur Anpassung des Landesrechts an die Lebenspartnerschaft.

Die Untätigkeit der SPD ist nicht nachvollziehbar. Denn es gibt für das Unterlassen einer aktiven Gleichstellungspolitik keine sachliche Begründung. Vielfach wird behauptet, man brauche die Zustimmung des Bundesrats. Doch das ist in vielen Fällen schlicht unrichtig. Bei der Neuregelung der Adoption etwa wird der Bundesrat ebenso wenig benötigt wie bei der Frage der Hinterbliebenenrente. Ebenso wenig stichhaltig ist das Argument leerer Kassen. Lesbische und schwule Paare müssen zum Beispiel in der Frage der Besteuerung aus Gerechtigkeitsgründen gleichgestellt werden. Das Ehegattensplitting kann man dann immer noch abschaffen.

Die jetzige Bundesregierung täte gut daran, sich wieder eine gesellschaftspolitische Agenda zu geben. Schon jetzt ist der Frust unter denjenigen, die Rot und Grün um der Gesellschaftspolitik willen zur Mehrheit verholfen haben, unübersehbar. Selbst Verbände, die noch vor wenigen Monaten zur treuen Gefolgschaft von Rot-Grün gehört haben, beginnen zu murren. Wir dürfen diesen Unmut nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Es ist richtig und gut, dass jetzt die Reform der Sozialsysteme angegangen wird – auch wenn man über manche Ziele und Instrumente streiten kann. Aber neben der Frage der Neuordnung des Gesundheitssystems und des Steuer- und Subventionswesens darf die Gesellschaftspolitik nicht aus den Augen verloren werden. Eine moderne Gesellschaftspolitik macht ein Gemeinwesen erst reformfähig und ermutigt zur Teilnahme am politischen Prozess. Vielleicht melden sich die gesellschaftspolitisch interessierten Kräfte der SPD ja doch noch zurück.

Brigitte Zypries verfolgt keine politischen Ziele. Sie gibt die Frau ohne Eigenschaften

Die Aufgaben für die lesben- und schwulenpolitische Agenda stehen dabei fest: Die Lebenspartnerschaft gehört umfassend und zügig ausgebaut. Es reicht einfach nicht aus, wenn Frau Zypries erklärt, eine Überarbeitung in Angriff nehmen zu wollen. Erforderlich sind jetzt ein konkreter Fahrplan und die Vorlage eines Gesetzentwurfs. Das Ergänzungsgesetz muss zu geeigneter Zeit erneut in die öffentliche Diskussion und schließlich in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. Die unter tatkräftiger Kollaboration einiger Lesben- und Schwulenfunktionäre zu Fall gebrachte Magnus-Hirschfeld-Stiftung muss ebenfalls verwirklicht werden. Die allernächste Aufgabe aber ist die Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes. Dieses muss selbstverständlich auch die sexuelle Identität als Schutzmerkmal mit umfassen. Die entsprechende EU-Richtlinie schreibt zwar nicht alle wesentlichen Merkmale vor. Aber nicht nur die liberalen Niederlande, sondern auch das eher zurückhaltende Großbritannien ist über die Kernanforderungen der EU-Richtlinie hinausgegangen. Das ist auch richtig, denn es gilt schlicht und einfach, der Gerechtigkeit Genüge zu tun.

Die SPD muss jetzt wieder gesellschaftspolitisch aktiv werden. Die Ungeduld der Lesben und Schwulen mit den Sozialdemokraten wächst. Eine bloße Überarbeitung der Lebenspartnerschaft wird den Erwartungen, die durch die Versprechen im Wahlkampf geweckt wurden, nicht gerecht werden. Schon jetzt wird der Unmut über die Untätigkeit in Sachen Gleichstellung auf dem Christopher Street Day zu spüren sein.

FARID MÜLLER