Appetit auf die Welt

Der Bioboom der reichen Länder suggeriert uns nur, wir gingen mit der Umwelt schonender um

von HANNES KOCH

Die Welt geht vor die Hunde. So sehen es die Organisatoren des Kongresses McPlanet.com, der heute und morgen in Berlin stattfindet. Attac, BUND und Greenpeace vergleichen die Erde mit einem Hamburger von McDonalds, von dem die Konzerne in ihrem endlosen Hunger nach Profit immer größere Stücke abbeißen. Übrig bleibt irgendwann: nichts. Der Ökokollaps ist unausweichlich – falls es so weitergeht wie heute.

Daran schuld ist auch, vielleicht sogar überwiegend, die Globalisierung. So wie die Globalisierungskritiker darauf hinweisen, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich während der Achtziger- und Neunzigerjahre weiter geöffnet hat, so betonen sie auch den Zusammenhang zwischen Globalisierung und vermehrter Umweltzerstörung. „Der Zustand der globalen Umwelt verschlechtert sich“, weiß Jan Kowalzig, Referent beim BUND für Internationale Umweltpolitik.

Wie seine Kollegen von den anderen Organisationen ist Kowalzig schnell mit einer langen Liste zur Hand, die von ausgestorbenen Tierarten über die zunehmende Verschmutzung der Flüsse und den Klimawandel bis zur Vernichtung des indonesischen Urwaldes reicht. Diese Wahrnehmung dürfte sich mit der Meinung der meisten Besucher des McPlanet-Kongresses decken. Schließlich liegen Zielrichtung und Attraktivität der Veranstaltung gerade darin, die gängigen ökonomischen und sozialen Argumente gegen die Globalisierung mit den ökologisch inspirierten zu fusionieren.

Machen die großen Konzerne mit ihrer grenzenlosen Freiheit die Welt schlechter? Ja, unbedingt. Zu dieser These läuft seit anderthalb Jahren ein Forschungsprojekt beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Titel: „Welche Globalisierung ist zukunftsfähig?“ Zwei Dutzend Wissenschaftler, unter ihnen Vordenker Wolfgang Sachs, entwerfen Konzepte für eine „ökologische Gerechtigkeit, eine nachhaltige Weltinnenpolitik und zukunftsfähige Technologien für den Süden und Osten“. Mit Zeitreihen über Stoffströme, Erosion und Flächenverbrauch versuchen sie zudem, einen Zusammenhang zwischen Globalisierung und zunehmender Umweltzerstörung auszumachen.

Das Ergebnis der Wuppertaler, die als Kooperationspartner am McPlanet-Kongress beteiligt sind, fällt jedoch bislang weniger sensationell aus, als mancher Basisaktivist erwartet. Auf die Frage „Nimmt die Umweltzerstörung durch Globalisierung zu?“ antwortet Wuppertal-Projektleiter Tilman Santarius: „Die These lässt sich durch quantitative Analysen in der Summe nicht bestätigen.“ Einzelne Ketten von Ursachen und Wirkungen ließen sich zwar bestimmen und gewisse Folgen der globalisierten Produktion punktuell nachweisen – aber als Gesamtbild? „Das ist sehr schwierig zu pauschalisieren“, sagt Santarius.

Das betrifft etwa den weltweiten Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid. Der ist zwar zwischen 1980 und 2000 um rund 25 Prozent gestiegen. Der Primärenergieverbrauch an Kohle, Öl und anderen Energieträgern hat jedoch weitaus stärker, um 40 Prozent, zugenommen – und erst recht das globale Bruttoinlandprodukt. Die Summe aller hergestellten Güter und Dienstleistungen lag im Jahr 2000 um 70 Prozent über der von 1980. Dennoch, die Belastung der Umwelt ist zwar gestiegen, jedoch weitaus weniger, als die angewachsene Produktion vermuten ließe. Pro hergestellter Einheit sind die Ökosysteme in den beiden Dekaden der Globalisierung also weniger verschmutzt worden als zuvor – mithin ist eine relative Verbesserung zu verzeichnen.

Auch das Problem der Erosion, die Zerstörung von nutzbarem Boden, gibt Anlass zu einer differenzierten Betrachtung. Einerseits entdeckten die Forscher dort eine fundamentale Ungerechtigkeit: Während die Länder des Südens im Jahr 2000 jede Tonne nach Europa exportierter Agrargüter damit bezahlten, dass ihnen elf Tonnen Boden durch Erosion verloren gingen, büßten die Staaten der Europäischen Union nur 2,3 Tonnen Boden ein. Ein Grund dafür sind die oftmals ungünstigeren klimatischen Bedingungen in der südlichen Hemisphäre: Hitze, Trockenheit oder starke Regenfälle. Die reichen Ländern leisten sich einen hohen Konsum, lagern die damit zusammenhängenden Umweltschäden aber aus.

Der Bioboom der reichen Länder suggeriert uns nur, wir gingen mit der Umwelt schonender um. In Wirklichkeit stimmt das oft nicht. „Das nennt man den Rich-Country-Illusion-Effekt“, sagt Tilman Santarius.

Der Ökokollaps ist unausweichlich; schuldist die Globalisierung, meinen die einen

Aber wird das Missverhältnis zwischen Erosion hier und Erosion dort nun im Zuge der Globalisierung schlimmer? Eine Frage ohne eindeutige Antwort. Die Zeitreihe des Wuppertal Instituts belegt, dass die Erosion pro importierter Tonne in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre zunahm, bis 2000 aber wieder fast auf den Ausgangswert zurückging. Die zunehmende Erosion gab zwar den Globalisierungskritikern Recht, die von einer zunehmenden Verlagerung von Umweltschäden in die Dritte Welt sprechen. Die abnehmende Erosion je importierter Tonne spricht jedoch gegen diese These.

Ähnlich verhält es sich bei der so genannten Flächenbelegung. Wenn man Europas Landwirtschaftsflächen und seine Agrarexporte ins Verhältnis setzt zu den Flächen auf anderen Kontinenten, von denen die Alte Welt Nahrungsmittel importiert, ergibt sich ein Überhang zugunsten Europas. Unter dem Strich beansprucht Europa 18 Millionen Hektar in anderen Teilen der Welt. Damit einher geht der Export von Umweltschäden durch Dünger, Erosion und Versalzung in erheblichem Umfang. Doch die Flächenbelegung im Ausland ist zwischen 1995 und 2000 nicht gestiegen. Der Export von Umweltschäden hat sich durch die Globalisierung in diesem Zeitraum also nicht verschärft – wobei die Einschränkung gilt, dass die fünfjährige Zeitreihe, die dem Wuppertal Institut als Basis zur Verfügung steht, ziemlich kurz ist und nur eine eingeschränkte Aussagekraft hat.

Natürlich gibt es auf der ganzen Welt Beispiele, an denen eine zunehmende Umweltzerstörung völlig eindeutig abzulesen ist. Internationale Papierkonzerne, unterstützt durch eine liberale Investitionspolitik, haben dazu beigetragen, den Regenwald auf den Inseln Südostasiens zu vernichten. Und die Garnelenfabriken an Afrikas Küsten verseuchen das Meer, damit die Exporteure den Appetit der Kundschaft in den Ländern des Nordens befriedigen können.

Bestimmte Auswirkungen der Globalisierung können Ökologen, Agronomen und Wirtschaftswissenschaftler ohne große Probleme nachweisen. „Wir stellen eine Verlagerung der Umweltzerstörung in den Süden fest“, sagt Wuppertal-Forscher Santarius. Während die „ökologischen Rucksäcke“, die zerstörerischen Folgen, in den eher wohlhabenden Staaten der OECD abnehmen, werden sie in den Entwicklungsländern schwerer. Die Aluminiumindustrie etwa zieht von Norden nach Süden – teilweise motiviert durch die verschärften Umweltgesetze, die ihnen in Deutschland und anderen Ländern zu schaffen machen. Diese punktuellen Effekte sollte man aber nicht verwechseln mit dem Zustand der globalen Umwelt, über deren Zustand die Wissenschaft bis heute oftmals recht wenig sagen kann.