Ein Verführer, der kein Maß kennt

Diether Dehm, Wessi, Künstler und stellvertretender PDS-Chef, will wieder in den Vorstand. Er könnte zum Märtyrer des Parteitages werden

BERLIN taz ■ Plötzlich haben fast alle Genossen Angst vor Diether Dehm. Dass er auf dem Parteitag wieder in den Vorstand gewählt wird. Dass er sich in den Mittelpunkt drängelt. Dass er den schönen Neuanfang mit Bisky versaut.

Dabei hatte die Geschichte mit Dehm und der trotzigen Ostpartei traumhaft angefangen. Kaum Mitglied der PDS, wurde er gleich beim ersten großen Auftritt 1999 stellvertretender Parteichef. Die Genossen wählten ausgerechnet den, der den verdächtigen, schillernden, oberflächlichen Westen repräsentierte. Dehm war braun gebrannt, trug eine teure schwarze Lederjacke und hielt eine rhetorisch glänzende Nullrede.

Danach passierte drei Jahre mehr oder weniger nichts. Gysi, Bisky und Bartsch ignorierten Dehm. Sie lächelten nur, wenn er mal wieder die Enteignung der Deutschen Bank forderte. Dehms Stunde schlug auf dem Parteitag in Gera im Oktober. Er nahm Parteichefin Gabi Zimmer mit ihrem wolkigen Sozialismusgerede ernst und verhalf ihr mit den Stimmen der Orthodoxen und Marxisten zum Sieg über die Reformer.

Dehm war 33 Jahre Mitglied der SPD. Darin besteht das eigentliche Missverständnis zwischen der PDS und ihm. Dehm ist kein Politiker. Er ist Künstler. Er hat Popsongs geschrieben („Tausendmal berührt“), er hat Wolf Biermann und Katarina Witt gemanagt. Dehm ist ein Verführer. Er ist von sich selbst bezaubert, deswegen reißt er andere mit. Er kennt kein Maß. Nach Gera spielte er sich in der Parteizentrale als neuer Chef auf. Er wies den Wachschutz an, die Taschen des abgewählten Bundesgeschäftsführers Bartsch zu kontrollieren, damit keine Papiere aus dem Haus verschwinden. Eigentlich ist nichts passiert. Dehm war wie immer. Aber erst jetzt gingen vielen die Augen auf.

Dehm überlebte die Affäre. Er wurde jetzt zum Symbol. Zum bösen Westgenossen, der die Partei spaltet. So, wie er ist, wollte die PDS mit ihrer SED-Geschichte doch nie wieder sein. Intrigant und hinterhältig. Zimmer sprach von menschlichen Zerwürfnissen. Dehm faselte weiter von sozialistischer Opposition. Sie habe unterschätzt, welch zerstörerisches Potenzial er besitze, sagt Zimmer heute. Sie will, dass er aus der Parteiführung verdrängt wird. Bisky will das auch. Aber er hält sich zurück. Er will aus Dehm keinen Märtyrer machen.

Ein Märtyrer. Das passt zu Dehm. Er will auf dem Parteitag kämpfen. Er will wieder in den Vorstand. Er wird die Genossen schwindlig reden. Er weiß, dass sie ein Herz haben für Leute, die vorgeben, schwach zu sein. Vielleicht werden sie ihn deswegen wählen. JENS KÖNIG