Balin, wie sollste dir vaändern

Berlin muss sich als Hauptstadt definieren. Bloß wie? Ein Kongress der Heinrich-Böll-Stiftung suchte nach Antworten

Für Thilo Sarrazin symbolisiert ein kleiner Kasten den Zustand Berlins. Oder besser: Dass er nicht sein darf. Wenn er in seiner Verwaltung zwar das Haus entkernen, aber nach außen noch nicht mal eine günstige Klimanlage ans Fenster hängen dürfe, weil der Denkmalschutz dagegen spricht, dann ist das für den SPD-Finanzsenator bezeichnend für den hiesigen Reformwillen. US-Architekt Peter Eisenman fehlt anderes, um Berlin voranzubringen: Dichte soll her, 20-stöckige Apartmenthäuser Unter den Linden. Nichts für Grünen-Ministerin Renate Künast, die in Berlin Nachtigallen hören will. Drei Eindrücke einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung zu „Perspektiven einer Hauptstadt“.

Berlins zukünftige Rolle wird alle Nase lang beredet – nicht aber mit derart vielen Hochkarätern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Bei den zweitägigen Diskussionen kam zwar kein genaues Rezept heraus, aber einige überraschend offene Ansichten gab es.

Eine davon kam von Sarrazin. „Der Senatsbaudirektor ist der eigentliche Diktator in der Stadt.“ Eigentlich sei er ja ein Fan von Hans Stimmann – seit schier ewigen Zeiten auf diesem Posten im Staatssekretärsrang –, weil der mit seiner Traufhöhe ein modernistisches Berlin verhindert habe. Aber wenn der Stimmann auf den Denkmalschutz poche, traue sich eben niemand zu widersprechen. Und das helfe nicht immer weiter. Für Sarrazin hat das was Typisches: So habe in der Stadt jeder seine Traufhöhe bei seinem persönlichen Hobby.

Überhaupt sieht der Finanzsenator zu wenig Bereitschaft, sich selbst zu helfen. Berlin sei tatsächlich in der von dem Humboldt-Uni-Professor Michael Burda ausgemachten „Wohlfahrtsfalle“. Wie könne es bei 300.000 Berliner Arbeitslosen sein, dass in Beelitz 3.000 Polen Spargel stechen? Jene könnten doch nicht alle Rückenprobleme haben, meinte Sarrazin, 60.000 davon seien Bauarbeiter.

Aber es sollte ja nicht nur um Finanzen gehen oder, um mit der Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz zu sprechen: Eine Politik, die sich darauf beschränkt, mache etwas falsch. Berlin sehen heiße, Deutschland ins Gesicht zu sehen, stellte Renate Künast fest. Bloß sind die Bilder dieses Berlins verschieden. Für Architekt Eisenman ist um 23 Uhr in der Friedrichstraße anders als auf dem Broadway nichts mehr los. „Leer und ziemlich furchteinflößend“ sehe es da aus.

Für Künast muss Berlin eine Entscheidung treffen, wo es hingehen soll. Sonst gehe es der Stadt wie in der Fabel dem Esel, der sich zwischen zwei Heuhaufen nicht entscheiden kann – und verhungert. Denn dass Berlin fast alle Möglichkeiten hat, war Konsens. Bloß die Entscheidung muss her. Und dazu gehört für Avi Primor, den früheren israelischen Botschafter, auch die Frage, was Deutschland von Berlin will. Berlin müsse nicht „Hauptstadt in jedem Sinne sein“, könne sich aber auch nicht auf eine Rolle beschränken wie die weitgehend auf den Regierungssitz definierten Hauptstädte Canberra oder Montreal.

Modellstadt solle Berlin werden, meinen Künast und andere, etwa für vorbildliche Verwaltung, solle an seiner Rolle bauen – und sich nicht darauf beschränken, „seine Plätze zu fegen und Flaggen aufzuziehen“.STEFAN ALBERTI