Protest hat ein dickes Programm

Gewerkschafter und Attacis diskutieren auf einem Kongress Perspektiven jenseits rot-grüner Sparpolitik. Die Gründung einer neuen Linkspartei war ständig Thema – was vielen nicht lieb ist

VON FELIX LEE

„Genug für alle“, so hieß ein Workshop auf dem Perspektivenkongress. Doch leider war dem nicht so. Bereits am frühen Morgen des ersten Kongresstages waren sie alle vergeben, die 1.800 Programmhefte. Immerhin konnten die Veranstalter nun abschätzen, mit welchem Ansturm zu rechnen war.

Gewerkschafter, Attacis, Vertreter von Sozialinitiativen und anderen sozialen Bewegungen kamen am Wochenende nach Berlin, um zu diskutieren: Wie weiter nach den Großdemonstration gegen die rot-grüne Sozialkahlschlagspolitik? Inhaltlich war sich das Gros der Teilnehmer darin einig, den Schwerpunkt ihrer Proteste auf die Rücknahme der Hartz-Gesetze zu fokussieren, für eine solidarische Einfachsteuer einzutreten und einen existenzsichernden Grundlohn für alle einzufordern.

So vielseitig die Veranstaltungen im 60-seitigen Programmheft aber waren, so vielschichtig waren die Lösungsvorschläge: In der Aktionsform waren sich die Teilnehmer keineswegs einig. Vom Generalstreik über ein Arbeitnehmerbegehren bis zum offensiven Aufruf zum zivilen Ungehorsam reichte die Liste.

„Dabei drängt die Zeit“, sagte ein Ver.di-Mitglied. Bis zum Ende des Jahres stünden noch weitere Einschnitte im Sozial- und Rentensystem an. Mit Blick auf die Bundestagswahlen 2006 würde die SPD sich mäßigen. Und dann, so befürchtet er, würden auch die Gewerkschaften mit ihrer Konfrontationshaltung zurückrudern – mit dem Argument, Rot-Grün sei noch immer die bessere Alternative. An der Sozialkahlschlagspolitik würde sich nichts ändern, sagte der Basisgewerkschafter.

Und damit waren sie auch schon mittendrin in der Diskussion um einen „parlamentarischen Arm des außerparlamentarischen Protests“. Obwohl unter den 125 Vorträgen und Workshops nicht eine Veranstaltung zur Frage einer neuen Linkspartei zu finden war – das Thema war nicht wegzumoderieren. Die Organisatoren wollten die Frage einer neuen Linkspartei bewusst heraushalten. Während nämlich die Gewerkschaftsspitze wegen ihres nach wie vor nicht vollzogenen Bruches mit der SPD den Eindruck vermeiden wollte, dass aus Gewerkschaftskreisen eine Konkurrenzpartei entstehen könnte, stehen auch die Strippenzieher bei Attac einer Parteigründung skeptisch gegenüber. Die zentrale Frage auf dem Kongress sei nicht, wer welche Partei gründet, sondern wie man das neu entstandene Bündnis aus Attac, Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverbänden weiter vertiefen könne, sagte Sven Giegold vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Er befürchtet, dass sich die Diskussion schnell nicht mehr um die Frage dreht, „was wir gemeinsam machen können, sondern wer gegen wen kandidiert“.

Über die immer wieder aufkeimende Debatte um eine Linkspartei zeigten sich hingegen die Initiatoren um den ehemaligen Kreuzberger PDS-Politiker Michael Prütz und der trotzkistischen Gruppe Linksruck sichtlich erfreut. Stießen ihr Volksbegehren zur Abwahl des rot-roten Senats und die eventuelle Gründung einer neuen Linkspartei zahlenmäßig bisher eher auf maue Resonanz (die taz berichtete), erhielten Prütz und Konsorten auf dem Kongress argumentative Unterstützung aus Bayern und Nordrhein-Westfalen. Die dortigen Initiatoren haben mit der Unterschriftensammlung längst begonnen. Vielleicht mit ein Grund, warum sich die Teilnehmer bis zum Ende des Perspektivenkongresses nicht auf eine gemeinsame Großaktion für die kommenden Monate einigen konnten.

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