Raptus Melancholicus

Die Lust am Gegensatz: Eine Schau des Maler-Ironikers Werner Büttner beschließt in den Deichtorhallen Zdenek Felix‘ „Zyklus der Freunde“

von HAJO SCHIFF

Vor einem Bild mit Grabesengel und prustender Dionysios-Maske sprach Zdenek Felix: „Es ist eine letzte Hommage an die Hamburger Kunst, soweit sie denn vorhanden ist.“ Sein Satz galt einer umfangreichen Schau von Arbeiten von Werner Büttner, den man insofern als Hamburger betrachten kann, als der 1954 in Jena Geborene seit 14 Jahren eine Professur an der Hamburger Hochschule für bildende Künste innehat. Die große, fast retrospektive Präsentation des Maler-Ironikers ist die letzte im „Zyklus der Freunde“, den Felix 1994 mit Albert Oehlen begonnen und 1999 mit Martin Kippenberger fortgesetzt hatte.

Ein konsequenter Bogen: Schon 1984, noch in Essen, hatte er mit dem für die Kunst der 80er Jahre so wichtigen Trio Büttner, Kippenberger und Oehlen die legendäre Ausstellung Wahrheit ist Arbeit gemacht. Damals äußerte eine konservative Kunstkritik, so ein Direktor müsse gefeuert werden, jetzt wird die Büttner-Schau aller Voraussicht nach die letzte Kunstpräsentation dieser Art in den Deichtorhallen sein. Es bedeutet also einen Abschied nicht nur für den Leiter Zdenek Felix, der es bemerkenswert lange und erfolgreich geschafft hat, Europas größte Hallen für zeitgenössische Kunst zu bespielen. Damit ist nun Schluss – und eine gewisse Verbitterung über den Stil der Veränderung und die fragwürdige Zukunft ist ihm anzumerken.

Zu den Rahmenbedingungen dieser Ausstellung gehört also eine gewisse Tristesse, vielleicht ganz passend für Werner Büttner, der von sich sagt: „Ich war nie ein wilder Maler. Ich bin ein ganz normaler Melancholiker.“ Aber in so scheinbar eindeutigen Zitaten wie: „Jedes Leben ist auch ein verpfuschtes Leben“, darf nicht die Ironie übersehen werden, mit der dieser Künstler mit fast barocker Lust an Gegensätzen der Welt ihren Narrenspiegel vorhält. Von der sicheren Warte seines Lehrstuhles aus spürt er in oft absurdem Zusammenspiel der Details den Bedingungen des Lebens nach und bringt sie provozierend und professionell paradox ins Bild. Vom Titel bis zu längeren Schriften wird das zeichnerische und malerische Werk dabei durch die Kombination mit wohl gesetzten Worten in so etwas wie eine barocke Emblematik aktueller Befindlichkeiten erweitert.

Man könnte diese Malerei als einen Realismus hinter dem Spiegel bezeichnen, eine erkennbare Abbildung noch nicht erkannter Zustände. Das würde jenseits bloß oberflächlicher Ironie einen moralischen Anspruch herausstellen und dem frankophilen Spötter, der Montaigne zu seiner Lieblingslektüre zählt, sicher gefallen. Büttner selbst nennt Ensor, Chirico und Magritte als Vorbilder – bei Letzterem kann er höchstens die kühne Motiv-Kombinatorik meinen.

Büttners Methode ist stets eine Verschiebung üblicher Grenzen. Die immer noch leistungsfähigste Technik solcher Bildverfremdung ist die Collage, die unmittelbare Konfrontation von Widersprüchlichkeiten mittels leicht zugänglichem Zeitschriftenmaterial. Und so hat Büttner neue, fotografisch vergrößerte Montagebilder zwischen die Malerei der letzten 20 Jahre gehängt, was nebenbei die aktuelle Diskussion um den unterschiedlichen Rang von Malerei und Fotografie aushebelt.

Wer in dieser über das Schauen hinaus zum Denken anregenden Ausstellung eine Pause braucht, kann sich erholen, ohne das Büttner‘sche Universum zu verlassen: Auf der anderen Straßenseite im „Jena Paradies“. Das nach einem real in Thüringen existierenden Bahnhof benannte Lokal des Kunstvereins hat der Meister komplett gestaltet. So lässt sich unter der „Raptus Melancholicus“ beschrifteten Deckenlampe in trüber Wut trefflich darüber räsonnieren, was denn angesichts der grauslichen Kulturpolitik in dieser Stadt der Sinn von Kunst noch sein kann.

Di–So, 11–18 Uhr, Deichtorhallen, Nördliche Halle; bis 24. August