Rechenspiele für den Koalitionsfrieden

Im November versprach der Kanzler 16 Milliarden Euro Subventionen für Steinkohle. Nun streiten Rot und Grün darüber, wie der Kanzler das gemeint hat: So versuchen die Grünen, das Versprochene klein zu rechnen, ohne den Kanzler zu schädigen

AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

Vor dreißig Jahren warb das „Haus Stapp“ in Dinslaken noch mit seinem Blick auf den Rhein und seiner Liegewiese vor dem Fluss. Heute steht auf der Wiese ein Deich, von der Terrasse der Gaststätte schaut man auf das Gras des Schutzwalles. Nötig wurde der Deich, weil sich das Gelände durch den Einsturz der ausgeräumten unterirdischen Steinkohlestollen um 4 Meter absenkte. Wenn Gäste heute den Rhein sehen wollen, müssen sie 38 Stufen auf den Deich klettern.

Die Zukunft des „Haus Stapp“ am Rhein und mit ihr der ganzen Region steht heute auch auf der Tagesordnung einer vertraulichen Verhandlungsgruppe der rot-grünen Koalition. Sie soll entscheiden, wie genau die Regierung die deutsche Steinkohle weiter subventionieren wird. Geht es nach den Vorstellungen der der Ruhrkohle AG (RAG) und deren Tochter, der Deutschen Steinkohle AG (DSK), und dem NRW-Energieministerium, wird noch mindestens bis 2009 oder gar 2012 in Walsum Steinkohle gefördert.

Dann könnte sich das Haus Stapp noch mal um weitere 4 Meter absenken. Das wäre nicht nur ärgerlich für den Gastwirt. Mögliche Hochwasser bedrohen dann einer Rechnung der TU Aachen zufolge bis zu 350.000 Anwohner in der Region um Duisburg – dessen Innenstadt könnte bis zu 17,5 Meter unter Wasser stehen.

Möglich ist die Förderung nur dank der Zusage des Kanzlers vom November, bis 2012 noch einmal 15,9 Milliarden Euro Steuergelder in die Kohle zu stecken. Die grüne Bundestagsfraktion war Ende letzten Jahres von dieser Zusage völlig überrascht worden. Nun will sie den Kanzler nicht Lügen strafen. Doch sie sucht dessen großzügiges Versprechen möglichst klein zu rechnen – und die neuen Subventionen mit Auflagen an die RAG zu verknüpfen.

So wollen die Grünen, dass die Zechen Walsum und West, die dort unter dem Rhein nach Kohle graben, möglichst schnell geschlossen werden. Selbst die Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtages sind sich einig, dass diese Zechen frühestmöglich geschlossen werden sollen.

Klein rechnen ließe sich die Zusage des Kanzlers womöglich dadurch, dass wirklich alle Nebenkosten in die Kalkulation einfließen. Da ist zunächst die so genannte Bugwelle: Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller hatte in seiner Amtszeit 1,3 Milliarden Euro zu wenig an die Industrie ausgezahlt, dieses Geld ist das Wirtschaftsministerium der Ruhrkohle AG noch schuldig und zahlt sogar Zinsen dafür.

Zweitens hatte die Regierung vor einem Jahr zugesagt, Nordrhein-Westfalen ab 2006 jedes Jahr 40 Millionen Euro Subventionen abzunehmen und dann selbst zu tragen. Der nordrhein-westfälische Grüne Reiner Priggen regt nun sogar an, weitere knapp 30 Millionen jedes Jahr dazuzulegen. Während NRW 2006 noch 564 Millionen Euro zahlt, wären es damit 2012 nur noch 230 Millionen – die 334 Millionen jährlich trüge dann der Bund. Das alles ginge nach der Rechenweise der Grünen von den 16 Milliarden ab.

Drittens wollen die Grünen erreichen, dass auch die „Ewigkeitskosten“ von den 16 Kanzlermilliarden abgehen. Darunter fallen vor allem Pensionen und Pumpkosten. Vermutlich muss noch rund drei Jahrhunderte lang das Grundwasser abgepumpt werden, damit keine Siedlung voll läuft.

Es gibt also genug Möglichkeiten, die Kanzlerzusage etwas kleiner zu rechnen, ohne einen offenen Konflikt zu provozieren.

Im Zusammenhang mit der Steinkohle beraten die Parteien auch den Emissionshandel. Hier haben sozialdemokratische wie grüne Fraktion einigen Änderungsbedarf am Kompromiss, der im März unter den Ministern im Kanzleramt ausgehandelt worden war. So kamen zum Beispiel Stadtwerke, die bereits in Klimaschutz investiert haben, beim Kompromiss deutlich zu kurz. Schon Anfang vergangener Woche legte eine SPD-Arbeitsgruppe ihre Vorstellungen im Kanzleramt vor. Dort war man, dem Vernehmen nach, „nicht begeistert“ von dem Entwurf.