Die lustige Witwe

In Erinnerung an Serge G.: Beim Konzert in der Philharmonie warf Jane Birkin ihren Musikern ständig Küsschen zu. Fürs Publikum hatte sie orientalisch angehauchte Chansons und „Couleur Café“ parat

von DANIEL BAX

Am Ende kippte es dann doch noch ein wenig ins Pathos. Als Jane Birkin „Comment te dire adieu“ für eine aufwändige Abschiedszeremonie nutzte und sich im Takt überschwänglich vom Publikum verabschiedete, da meinte man, sie stehe nun endgültig kurz vor dem emotionalen Zusammenbruch. Mit brüchiger Stimme, als wäre sie den Tränen nah, dankte sie dem Publikum für sein Kommen, für seine Anwesenheit und seine Neugier, bedankte sie sich bei allen Mitwirkenden auch hinter den Kulissen, und als sie sich noch bei ihrer abwesenden Haarstylistin bedankt hatte, umarmte sie nochmals alle ihre Musiker, bevor sie von der Bühne huschte. Und kehrte zurück für ein letztes Ständchen. Bei ihrer A-Capella-Version von „ La Javanaise“ war es dann für Momente so still im Saal, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können.

Es ist diese exzessiv zelebrierte Zerbrechlichkeit, diese Inszenierung als femme fragile, die Außenstehenden manchmal etwas dick aufgetragen erscheint, durch die die inzwischen 57-jährige Schauspielerin und Sängerin Jane Birkin in Frankreich aber zu einer Art nationaler Ikone aufgestiegen ist, zur Mutter aller französischen Lolitas in Film und Musik zweifellos. Es war aber auch der Intimität des Kammermusiksaals der Philharmonie geschuldet, dass ihrem Auftritt dort die Atmosphäre einer sehr persönlichen Séance anhaftete, einer Andacht an ihren 1991 verstorbenen Exmann und Partner Serge Gainsbourg.

In Frankreich gilt die langjährige Lebensgefährtin des notorischen Provokateurs, der mit ihr in den späten Sechzigern sein berühmtestes Skandalstück „Je t’aime“ aufnahm, heute als beliebteste, wenn nicht gar einzig legitime Interpretin seiner Stücke. Auf ihrem aktuellen Album „Arabesque“ nun hat sie, mit dem algerischen Komponisten Djamel Benyelles, die Chansons von Serge Gainsbourg in neue, arabisch-andalusische Gewänder gehüllt, die ihnen erstaunlich gut zu Gesicht stehen.

„Es ist, als würde ich ein Banner tragen mit seinem Namen“, bekannte Jane Birkin in Berlin. „Ich bin so stolz, dass er mir einige der schönsten Lieder hinterlassen hat, die je ein Mensch für einen anderen geschrieben hat.“ Mit ihren Interpretationen hält sie sein Andenken am Leben, statt es ehrfurchtsvoller zu konservieren. Und bedient damit zudem die romantische Vorstellung einer Liebe, die noch über den Tod hinaus Bestand hat.

Dabei präsentierte sich Jane Birkin in der Philharmonie als eher lustige Witwe: Zwar ganz in schwarz, aber leger und bauchfrei in Schlabberhose und Wohlfühlpulli gekleidet trat sie zunächst vors Publikum, ganz so, als wollte sie zum Aerobic-Workout schreiten. Später kehrte sie in einem engen roten Seidenkleid auf die Bühne zurück und öffnete mit verspielter Geste ihr Haar; am Ende wiegte sie sich mit ausgebreiteten Armen zum Rhythmus ihrer Musiker. Sie betteten Jane Birkins Gesang mit orientalischer Laute, arabischer Geige und Darbuka-Percussion in eine orientalische Musik, die mehr war als ein bloßes Klangornament.

Jane Birkin erzählte, wie es zu dem Projekt gekommen war: Wie sie zum rennomierten Theaterfestival in Avignon eingeladen worden sei, und wie sie auf der Suche nach einem angemessenen Programm für diesen Anlass auf Djamel Benyelles gestoßen sei. Schließlich, kokettierte sie, sei sie unsicher gewessen, ob sie einen ganzen Abend allein hätte bestreiten können.

Eingangs hatte Jane Birkin noch gefragt, ob sie lieber Englisch oder Französisch sprechen solle: Französisch, hatte das Publikum gefordert, aber Birkin war nach drei Sätzen doch wieder ins Englische zurückgefallen. Ihre deutschen Ansagen las sie von großformatig beschriebenen gelben Zetteln ab, die vor ihr auf dem Boden ausgebreitet lagen.

Später erzählt sie von „Couleur Café“, einem Lied, das in Frankreich jedes Kind kennt, das sie bei ihren Konzerten in England, Japan oder Deutschland aber erst einmal vorstellen müsse: Die unbeschwerte, kleine Samba-Melodie entzog sich allerdings dem sonstigen orientalisierenden Zugriff. Danach wurde es wieder etwas ernst: Jane Birkin kniete nieder wie zum Gebet und rezitierte ein Gedicht, das der Sohn ihres Bruders geschrieben hat: Arnaud, der vor eineinhalb Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, da war er gerade zwanzig Jahre alt.

So schwankte das gesamte Konzert zwischen privater Andacht und kokettem Flirt mit dem Publikum und den Musikern, denen Jane Birkin ständig über den Kopf strich, die sie mit Küsschen und Komplimenten versah. Frivol aber wirkte das nie: Serge Gainsbourg hätte die Reverenz sicher gefallen.