„Die arabischen Publizisten sind Heuchler“

Iraks Minister für Menschenrechte kritisiert, dass mehr über die Vergehen der US-Soldaten als über die Verbrechen Husseins berichtet wird

BAGDAD taz ■ Mit Entsetzen hat man in Bagdad auf den Versuch der Mörder des US-Amerikaners Nicholas Berg reagiert, die Tat als Racheakt für die Missstände im Gefängnis Abu Ghraib hinzustellen. „Bestien sind das“, sagt der Menschenrechtler Ahmed al-Bayati. Nichts als Abscheu empfinde er bei den Bildern von der Enthauptung des Amerikaners.

„Terror“ nennt Bayati wie viele Bagdader die Ermordung. Mit ihr werde die berechtigte Kritik an den Missständen in Abu Ghraib verunglimpft. Zugleich bezeichnet der 48-Jährige die Folterungen irakischer Gefangener als eines der schlimmsten Verbrechen in jüngster Zeit.

Die Öffentlichkeit des Landes ist bei der Beurteilung der Vergehen der US-Soldaten in dem ehemaligen Saddam-Gefängnis jedoch gespalten. Jene, die den Amerikanern schon immer alle nur erdenklichen Übeltaten zutrauen, fühlen sich jetzt in ihrem Urteil bestätigt. Diejenigen, die noch kein endgültiges Urteil über die US-Politik im Irak haben, zucken auch jetzt mit den Schultern.

Erstaunlich zurückhaltend hat die irakische Presse auf die Enthüllungen über Abu Ghraib reagiert. Zwar haben die meisten Medien über die Empörung auf Bagdads Straßen berichtet. Während die arabischen Satellitenkanäle die Bilder von Misshandlungen der Gefangenen in großer Aufmachung brachten, haben die irakischen Medien aber größtenteils auf ihre Veröffentlichung verzichtet. Wenn überhaupt, erschienen die Bilder nur im Miniaturformat.

Seine Zeitung wolle auch künftig keine Bilder drucken, die das Schamgefühl der Abgebildeten verletzen, sagt Muthanna Tabakjeli, stellvertretender Chefredaktor von Az-Zaman. In der Samstagsausgabe hat das Blatt nun aber den Rücktritt von US-Verteidigungsminister Rumsfeld gefordert.

Der Minister für Menschenrechte, Bakhtyar Amin, ist keiner, der schnell aus der Haut fährt. Mehr als 20 Jahre hat er sich für die Verwirklichung von Menschenrechten in seinem Land stark gemacht. Dass er aber erst aus den Medien über das Ausmaß der Missstände in Abu Ghraib erfuhr, hat ihn empört. „Die Amerikaner müssen uns endlich an der Kontrolle des Sicherheitsressorts beteiligen“, sagt Amin. Seit Anfang Mai ist der 45-Jährige Minister für Menschenrechte. Aus Frust über die Informationspolitik der Amerikaner und wegen der Belagerung von Falludscha ist sein Vorgänger im April zurückgetreten. Wie viele Iraker fordert Amin eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge in Abu Ghraib und eine schnelle Bestrafung der Täter. Mindestens so sehr treibt Amin indes der Ärger über die Haltung der arabischen Politiker und Publizisten um, die heute lautstark die Amerikaner kritisieren. Heuchelei wirft er ihnen vor. „Alle haben sie geschwiegen, als das Saddam-Regime tausende von Häftlingen hinrichtete“, sagt er und ist wieder ganz Stimme der Opfer der Diktatur. Kein einziger arabischer Sender sei damals bereit gewesen, ein Interview mit ihm auszustrahlen.

„So schlimm die Rechtsverstöße der Amerikaner sind“, fährt er fort. „Wir dürfen nicht vergessen, dass unser Land auf einem Gräberfeld gebaut ist.“ Mindestens 300.000 Menschen wurden in Massengräbern verscharrt. Dass darüber bis heute viel zu wenig gesprochen werde, sei die eigentliche Tragödie des Zweistromlands: „Aber die Opfer haben ein langes Gedächtnis.“

Es ist diese Erinnerung, die viele Opfer der Despotie davon abhält, in den Chor der Kritiker Amerikas einzustimmen. Auch von den Verbrechen der Diktatur gibt es Bilder, aber diese sind im Westen kaum bekannt. Eines davon hängt am Eingang des Vereins der ehemaligen politischen Gefangenen. Es zeigt einen Häftling, der gehenkt wird. Im Hintergrund steht ein Aufpasser, einen Arm in die Hüfte gestemmt, im Gesicht ein Ausdruck von Zufriedenheit.

An die arabischen Herrscher hat Amin dann noch einen besonderen Rat parat. Sie sollten sich ein Beispiel an George W. Bush nehmen und sich für die von ihnen begangenen Verbrechen entschuldigen. „Washington führt uns gerade vor, wie eine Demokratie gegen Rechtsverstöße vorgeht“, sagt Amin. „Davon können wir, aber auch die arabischen Herrscher einiges lernen.“

INGA ROGG