Die Luft war raus

Hochspringerin Daniela Rath gelang ein spektakuläres Comeback. Aber zwei Meter schafft man nicht jeden Tag

ULM taz ■ So also sieht Enttäuschung aus: groß, blond und unbeschwert lächelnd. Was dann doch eher den Verdacht nahe legt, dass es sich dabei nur um eine kleine Enttäuschung handeln kann. Daniela Rath, die Hochspringerin vom TSV Bayer Leverkusen, hat den Grund für ihre sehr kleine Enttäuschung am Samstag so geschildert: „Ich war zu locker.“ Und dazu hat sie weiter unbeschwert gelächelt, ganz locker eben.

Nun wird es schon nicht so gewesen sein, dass die 26-Jährige sich bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Ulm nicht mehr erhofft hätte als übersprungene 1,87 m und damit Platz zwei hinter der Fürtherin Melanie Skotnik, der international belanglose 1,90 m zum Titel ausreichten. Das ganz sicher nicht. Schließlich hat Rath beim Europacup am Wochenende zuvor im italienischen Florenz erstmals in ihrem Leben zwei Meter überflogen. Das weckt natürlich Begehrlichkeiten auf Titel, es macht aber auch müde, vorübergehend wenigstens. Und auch ein bisschen selbstzufrieden. Vielleicht kann man das mit einem Luftballon vergleichen, der sehr hoch gestiegen ist und dem dort oben dann ein bisschen Luft entwichen ist. Nun muss er wieder aufgepumpt werden, um neuerlich hochsteigen zu können. „Vielleicht hätte ich doch eine Woche länger Pause machen sollen“, hat Rath in Ulm gesagt. Vielleicht hätte sie erst wieder ein wenig Kraft in ihren langen Beine sammeln sollen – und für den leeren Kopf.

Dazu muss man wissen, dass ein Zweimetersprung bei den Frauen nicht irgendein Sprung ist. Ganz im Gegenteil. Zwei Meter, das ist vielmehr die Schallmauer, die Reifeprüfung, das Nonplusultra. Zwei Meter, das ist die Eintrittskarte in einen erlesenen Kreis, der so erlesen ist, dass ihn erst vier deutsche Leichtathletinnen (Ackermann, Meyfarth, Henkel, Astafei) betreten haben, seit 1995 schon gleich gar keine mehr. Und letzte Woche öffnete sich für Daniela Rath die Tür zum Kreis der Großen. Da kann einem schon mal die Luft entweichen und man etwas zu locker werden, obwohl man das gar nicht will.

Zumal es für den Zweimetersprung von Daniela Rath einen langen Anlauf gebraucht hat, einen sehr langen sogar. Jahrelang. Schon 1996, als 19-Jährige, sprang Rath bereits 1,94 m, was sie zur großen Hochsprung-Hoffnung in Deutschland werden ließ. Zwei Jahre später wurde sie prompt deutsche Hallenmeisterin. Rath schien zu halten, was sich alle von ihr versprachen, dann verschwand sie von der Bildfläche, weil ihr links wie rechts das Kahnbein brach als Folge der Überbelastung in allzu jugendlichem Alter und falscher ärztlicher Beratung. Sie hörte auf mit der Springerei, jobbte in einem Fitnessstudio. Und kehrte letztes Jahr doch zurück. Mehr oder weniger auf Anhieb überquerte Daniela Rath 1,86 m, von ihrem Talent hatte sie in all der Zeit offenbar nichts verloren, wie sonst hätte sie am vorletzten Wochenende in Florenz die zwei Meter überfliegen können? „Die lange Pause hat auch was gebracht“, glaubt sie.

Natürlich hätte sie auch am Wochenende gern mehr gezeigt von ihrer Kunst; es ging nicht. Die Luft war raus. Entwichen in zwei Metern Höhe, man muss das verstehen. „Schnell vergessen“, möchte Daniela Rath ihre Versuche im Donaustadion – und möglichst bald wieder zeigen, dass es höher geht, auch wenn sie weiß, „dass ich es nicht vorhersagen kann, wann ich wieder zwei Meter springe“. Ende August sind Weltmeisterschaften in Paris. Ende August wäre ein prima Zeitpunkt.

FRANK KETTERER