Politik wie im Kindergarten

Die Zukunft der Kinderbetreuung im Revier ist offen: Kirchen schließen ihre Kindergärten und Städte müssen einspringen. Die Versorgung der unter Dreijährigen bleibt katastrophal

VON NATALIE WIESMANN

Kinder im Ruhrgebiet werden hin- und her geschubst: Kirchen schließen wegen mangelnder Steuereinnahmen ihre Kindergärten und verweisen dabei auf den demografischen Wandel. Für die unbetreuten Kinder müssen die Städte einspringen, weil für sie in NRW ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz besteht. Auch ältere Kinder werden verschoben: Kindertagesstätten und Horte müssen schließen, weil das Geld dafür in die neue offene Ganztagesschule gesteckt wird. Und für die unter Dreijährigen steht der Ausbau der Betreuung noch in den Sternen.

Beispiel Lünen: Die evangelische Kindertagesstätte „Königsheide in Lünen-Brambauer schließt im Sommer. „Wir haben nur noch 17 Kinder“, rechtfertigt Pfarrerin Friederike Scholz-Druba den Beschluss ihres Presbyteriums vom vergangenen Herbst. Die Jüngeren würden in städtischen Kindergärten untergebracht und die Älteren bekämen einen Platz auf einer Offenen Ganztagsgrundschule. „Für die Hortkinder erhalten wir kein Geld mehr von der Stadt.“ Mit Blick auf die Nachfrage habe ihre Gemeinde versucht, die Betreuung von unter Dreijährigen anzubieten. „Die Stadt hat uns eine Absage erteilt“, sagt die Pfarrerin. Ihre Kindertagesstätte erhält keine Betriebserlaubnis für die ganz Kleinen. Und der Betreuungsbedarf bei den ganz Kleinen sei in Lünen bereits abgedeckt, habe ihr die Stadt gesagt. „Es gibt sicherlich Bedarf an der Versorgung von unter Dreijährigen“, sagt Beanka Ganser, zuständig für den Bereich Kindertageseinrichtungen bei der Stadt. Zum Falle des besagten Kindergartens wolle sie sich jedoch „politisch“ nicht äußern.

Eine Studie der Zeitschrift GEO hat den meisten Revierstädten für ihre Kinderbetreuung die Schulnote sechs vergeben. Darunter auch der Landkreis Unna, zu dem Lünen gehört. Weil die Kommunen so viel getan hätten den Anspruch auf einen Kindergartenplatz zu erfüllen, wurden die unter Dreijährigen vernachlässigt, lautet die Entschuldigung der Städte. Die Quote liegt in den meisten Städten bei ein bis drei Prozent. Aber der Demografiewandel soll es richten: In Hinblick auf die sinkenden Kinderzahlen planen beispielsweise Oberhausen und Hamm – die bei der Studie ebenfalls die schlechteste Note erhielten – ihre Kindergartenplätze für eine Betreuung von unter Dreijährigen umzuwandeln.

Das Bistum Essen löst in seinem Bezirk – wozu auch Duisburg, Mülheim, Gladbeck und Bottrop gehören – 130 Kindergartengruppen mittelfristig auf. „Uns hat die Steuerreform geschröpft“, sagt Bistumssprecher Ulrich Lota. Aber der Hauptgrund für die Schließungen sei, dass die Zahl der Kinder zurückgehe. Jede Entscheidung sei jedoch „eine einvernehmliche Sache“, abgesprochen mit den Jugendhilfeausschüssen vor Ort. Über eine Umwandlung der Plätze in Kindertagesstätten für die unter Dreijährigen habe sein Bistum nicht nachgedacht.

Das NRW-Schulministerium schiebt die Verantwortung von sich: „Die Träger müssen selbst entscheiden, ob sie ihre frei werdenden Kindergartenplätze umwandeln“, sagt Ministeriumssprecherin Stephanie Paeleke. Alle Beteiligten hoffen wohl auf den Bund. Die Bundesregierung angekündigt, beim Ausbau der unter Dreijährigen-Betreuung zu helfen.