Rache am Vater: Äpfel zum Verbluten

Gewalt und Gegengewalt: Nils Daniel Finckh inszeniert in Hamburg Martin McDonaghs „Der Kissenmann“

Beklemmende Mixtur aus realen und fiktiven Bildern misshandelter Menschen

Die Bilder sind längst im Kopf gespeichert. Von dem Mann mit der Kapuze über dem Kopf. Und von den grinsenden Folterknechten, die ihn gleich misshandeln werden. Im Stück Der Kissenmann des irischen Autors Martin McDonagh, das im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses Premiere hatte, sind es zwei Männer, die dem Kapuzenmann den Rücken zukehren.

Sie projizieren einen Film auf die gegenüberliegende Wand, auf dem kaum etwas zu erkennen ist. Verwackelte Aufnahmen von Erwachsenen, die mit Kindern spielen. Lacht das Kind oder weint es, versucht es sich dem Griff des Mannes zu entwinden?

Ein böses Spiel mit Erwartungen entfaltet sich auf der fast nackten Bühne des Malersaals. Denn die Fotos der von US-amerikanischen Soldaten misshandelten irakischen Kriegsgefangenen haben sich tief eingegraben, genauso wie das World Press Photo 2003 vom irakischen Gefangenen, der hinter Stacheldraht seinen weinenden Sohn tröstet. All diese Bilder vermengen sich mit der Szenerie des McDonagh-Stücks. Der Kissenmann ist ein Stück über Gewalt, über Rache, Moral und Folter.

Der 1970 in London geborene Ire Martin McDonagh hat es vor dem Irakkrieg geschrieben, im November letzten Jahres fand die deutschsprachige Erstaufführung zeitgleich in Wien und Berlin statt.

Im Hamburger Malersaal verlegt Regisseur Nils Daniel Finckh den Schauplatz der Polizeiwache eines totalitären Regimes in einen vergitterten Raum irgendwo in einem fiktiven Staat ohne definierte Gesellschaftsordnung. Womit man sich umso weniger distanzieren kann vom Geschehen. Klar ist nur: Es gibt einen Angeklagten, den Schriftsteller Katurian (Marek Harloff), dessen Horrorgeschichten über misshandelte Kinder realen Mordfällen bis aufs Haar gleichen. Die vermeintlichen Polizisten wirken wenig professionell: Tupolski (Guido Lambrecht) und Ariel (Thomas Lawinky) stehen ständig kurz vorm Nervenzusammenbruch. Ein Wechselbad der Stimmungen, das den Verdacht nährt, dass hier schlicht Rächer am Werk sind.

Katurian muss auf einen Stuhl steigen, die Hose herunterlassen und eine seiner märchenhaft-grausamen Geschichten erzählen. Die von den Apfelmännchen. Ein kleines Mädchen schnitzt sie für ihren brutalen Vater. Rasierklingen hat sie darin versteckt, und er verblutet daran. Später wird Katurian seinem zurückgebliebenen Bruder Michael eine andere Geschichte erzählen: die vom Kissenmann. Er treibt Kinder in den Selbstmord, um sie vor einem unglücklichen Leben zu bewahren. Und danach wird Katurian den Bruder mit seinem Hemd ersticken.

Es gibt viele überraschende Wendungen in diesem Kammerspiel. Nils Daniel Finckh verzichtet glücklicherweise auf jede Illustration der beschriebenen Kindesmisshandlungen und -tötungen. Er vertraut auf seine Schauspieler und auf die klaustrophobische Wirkung der Bühne: Lolita Hindenberg hat Gitterwände konstruiert, die stufenweise den Raum verengen und so immer näher an den Zuschauerraum rücken. Marek Harloff spielt den Schriftsteller sehr zurückgenommen. Dafür erzählt er seine Geschichten – das Einzige, das ihn am Leben hält – umso eindringlicher. Eine beklemmende Inszenierung ohne Ausweichmanöver. Karin Liebe

Nächste Vorstellungen: 23. + 27.5., 20 Uhr, Malersaal, Hamburg