Riesenkerle machen sich klein

Schon nach sieben Spielen steht das Football-Team Thunder sicher im Endspiel der Europaliga. Leider merkt’s in Berlin kaum einer. Das Motto der Spieler: Immer schön bescheiden bleiben

Für US-Profis ist der World Bowl die Bühne, sich für Höheres zu empfehlen

VON THOMAS WINKLER

Als es schließlich vollbracht war, mühte man sich, weiter einen professionellen Eindruck zu hinterlassen. Football-Spieler zogen vorbei auf dem Weg zur Dusche und zeigten sich ihre Blessuren, Cheerleader hatten ihr Profilächeln beim Weg aus dem Innenraum des Olympiastadions in die Katakomben aufgesetzt, und der Manager setzte nach jedem selbstzufriedenen Grinsen, das über sein Gesicht zu huschen wagte, sofort eine geschäftsmäßige Miene auf. Überschäumende Freude sieht anders aus.

Dabei hätte es genug Anlass dazu gegeben: Berlins Football-Truppe Thunder hatte am Sonntagabend 33:20 gegen Rhein Fire gewonnen und sich bereits nach dem siebten von zehn Spieltagen für die World Bowl – so heißt das Endspiel der europäischen Liga – am 12. Juni in der Arena Auf Schalke qualifiziert. So früh hat – zumindest beim aktuellen Modus – noch keine Mannschaft in der Geschichte der NFL Europe das Finale erreicht.

Doch anstatt diesen Rekord ausgiebig zu feiern, begab sich Michael Lang in die Rolle des Bedenkenträgers. Von „gesund bleiben“ sprach der Manager, von „so weiterspielen“ und dass man nicht den Fehler begehen dürfe, die letzten drei Spiele als Schaulaufen zu betrachten.

Was einer Mannschaft passieren kann, die ihr Saisonziel vorzeitig erreicht, hatte tags zuvor Werder Bremen demonstriert: Der Fußballmeister muss befürchten, dass vor dem anstehenden DFB-Pokal-Endspiel im Olympiastadion die diffizile Teampsychologie durch das 2:6-Debakel gegen Leverkusen aus der Balance geraten sein könnte.

Rein zufällig exakt an dem Ort, an dem Bremen in zwei Wochen das Double vervollständigen will, verkniffen sich die Verantwortlichen von Thunder, diese Parallele zu ziehen. Stattdessen will man nun in den kommenden Tagen „so weitermachen wie bisher“, ließ Chefcoach Rick Lantz verlauten. Warum sollte man etwas ändern, wenn die bisherige Routine so erfolgreich war. Könnte man meinen.

Pete Kuharchek, knorriger und aufgrund der Leistung seiner Mannschaft arg zerknirschter Trainer von Rhein Fire, warnte den Sieger allerdings: „Die Berliner können sich jetzt erholen, der Druck ist weg. Andererseits tendieren Mannschaften in dieser Situation dazu, die Konzentration zu verlieren. Das kann so oder so ausgehen. Aber ich wäre gern in diesem Dilemma.“

Mit dem muss nun sein Kollege Lantz leben. Aber, wie er lachend verkündete, dafür werde er schließlich „so unglaublich gut bezahlt“ – wohl wissend, dass die Gehälter, die er und seine Spieler für die knapp drei Monate währende Show bekommen, im Vergleich zu denen, die die Stars im US-Mutterkonzern erhalten, lächerlich wirken.

Die NFL Europe dient dazu, Football in Europa bekannter zu machen. Sie sollte Talenten die Möglichkeit geben, Erfahrung und Spielpraxis zu sammeln. Folgerichtig wies Chas Gessner, wieder mal überragender Passfänger der Berliner, darauf hin, dass jeder einzelne Profi in jedem Spiel, und sei es noch so bedeutungslos, weiterhin größten Einsatz zeigen wird – denn die Scouts der NFL-Teams in den USA studieren die Videoaufzeichnungen von den Spielen akribisch, um die Talente auszusieben. Für die amerikanischen Profis – die in den deutschen Mannschaften die große Mehrheit stellen – ist der World Bowl nicht so sehr ein Titel, den zu gewinnen sich lohnt, als vielmehr eine weitere Bühne, sich für höhere und vor allem besser bezahlte Aufgaben zu empfehlen.

Vor allem Thunder-Manager Lang muss hoffen, dass die Spieler so vernünftig sind, das zu verinnerlichen. Denn obwohl sein Team in dieser Saison erst einmal verloren hat, zu Hause sogar ungeschlagen ist, kamen trotzdem bei gutem Wetter wieder nur 15.429 Zuschauer. Und ein Blick in die Baustelle Olympiastadion ließ einen doch auch an dieser Zahl zweifeln.

Das Unterfangen, den Berlinern die Faszination des American Football nahe zu bringen, ist auch im nun sechsten Jahr der Thunder-Existenz weiterhin eine zähe Angelegenheit. Spieler Gessner immerhin glaubt, eine stetig wachsende „Begeisterung zu spüren“, und geht ganz auf in der Aufgabe, „Football und Thunder in Berlin zu etablieren“. Der Manager dürfte es gern gehört haben, und vielleicht hat sich das Lächeln dann einen Moment länger auf seinem Gesicht gehalten.