Was ist da schief gelaufen?

In Bosnien war er damit beschäftigt, Kriegsgefangene zu „brechen“, um sie zum Sprechen zu bringen. Über die Methoden seiner Kollegen im Irak ist er entsetzt. Ein Verhörspezialist der US-Armee berichtet

VON ALEX TOBIN

Von 1993 bis 1997 diente ich als Verhörspezialist bei der „US Army Military Intelligence“, dem Militärgeheimdienst der US-Armee. Und ich bin ebenso abgestoßen und betäubt vor Wut wie jeder andere normale Zeitungsleser auch: Die Ereignisse im Gefängnis von Abu Ghraib haben einen weiteren schwarzen Fleck auf Amerikas Seele hinterlassen.

Ich habe mein Verhör-Training im Sommer 1994 in Fort Huachuca, Arizona, absolviert, dem Hauptquartier des US-Militärgeheimdienstes. Unsere Ausbildung bestand größtenteils im Einüben von Psychospielchen, mit denen der Gefangene „gebrochen“ werden sollte. Anders gesagt: Wir mussten die Gefangenen dazu bringen, endlich das Maul aufzumachen und uns zu sagen, was sie wussten.

Da gab es verschiedene Möglichkeiten, je nach Gefangenen-Typ. Ruhigen und zurückhaltenden Gefangenen wurde ein Gefühl von Wert und Wichtigkeit vermittelt – wir nannten das den „pride-and-ego-up“-Ansatz. Arrogante, in der Regel höher stehende Gefangene dagegen wurden auf den Boden der Realität zurückgeholt, indem wir sie mit Nachdruck daran erinnerten, dass sie gefangen waren – das ist der „pride-and-ego-down“-Ansatz. Darüber hinaus gab es den Zwecklosigkeits-Ansatz: „Ihr Typen verliert den Krieg sowieso, also kannst du uns genauso gut dabei helfen, die Leben deiner Kameraden zu retten.“ Alle diese Ansätze entsprachen den Genfer Konventionen. Überhaupt war unsere erste Lektion ausschließlich dem Dokument der Genfer Konventionen gewidmet.

Was ist also schief gelaufen? Was hat diese Ereignisse ausgelöst, über die heute die ganze Welt (zu der ja irgendwie auch die USA gehören) spricht? Und welchen Effekt wird all das auf die US-Politik haben? So viele Fragen – ich fürchte, dass der „Uniform Code Of Military Justice“, also das eigene Gesetz des Militärs, die Angelegenheit eher verschleiern denn uns dabei helfen wird, die Antworten zu finden. Denn die allererste und wichtigste Lektion, die man als Soldat der Armee der Vereinigten Staaten beigebracht bekommt, ist es, Befehlen zu gehorchen; Autorität wird nicht in Frage gestellt.

Persönlich hatte ich mit dieser Lektion gewisse Schwierigkeiten. Ich denke, dass selbst dieser Verhaltenskodex der US-Armee durch moralische und ethische Maßstäbe außer Kraft gesetzt wird – vor allem, wenn es um die Folgen meines Umgangs mit Menschenleben geht. Ich hatte gehofft, die USA würden wenigstens eines aus ihrer Geschichte gelernt haben: dass Vorfälle wie etwa das Massaker von My Lai in Vietnam endgültig der Vergangenheit angehören. Aber das Beispiel von Abu Ghraib zeigt, dass die menschliche Seele zu komplex und dunkel ist, als dass diese Hoffnung berechtigt wäre.

Gegenwärtig hat jeder eine eigene Theorie darüber, wer für diese Grausamkeiten letztendlich verantwortlich ist: das Militärpersonal, das diese Verbrechen verübt hat, bestand aus unerfahrenen Reservisten; die Folterungen wurden vom Militärgeheimdienst befohlen; Donald Rumsfeld persönlich hat es angeordnet … und so weiter und so fort. Obwohl ich als Verhörspezialist in Bosnien tätig war, bin ich selbst nicht schlauer.

In den USA gehen die Meinungen derweil immer weiter auseinander. Während ein liberaler, intellektueller Flügel in den USA diese Taten verurteilt, glaubt die überwältigende Mehrheit meiner Mitbürger immer noch, dass „diese Handtuchköpfe kriegen, was sie verdienen“ – zumal die Enthauptung von Nick Berg gezeigt hat, dass die Araber selbst ja noch viel, viel grausamer sind.

Für mich als Exsoldat mit Kriegserfahrung vergeht kein Tag, an dem ich nicht Gott auf Knien dafür danke, dass ich jetzt nicht im Irak bin. Die Truppen dort müssen mit entsetzlichem Grauen konfrontiert sein. Und, ja, der Krieg stellt verrückte Sachen mit den Leuten an. Ob man nun um sein Leben fürchtet, depressiv wird oder sich einfach nur zu Tode langweilt – da hilft kein 12-Punkte-Plan. Da wird sich immer jemand finden, der bereit ist, seinen Frust auf andere abzuwälzen.

Es ist nicht nur alarmierend, dass Minister Rumsfeld im Amt bleibt, sondern dass seine Umfragewerte unverändert hoch sind. Aber die wirkliche Tragödie besteht darin, dass, bis auf Generalmajor Tabuga, niemand diese internen Zustände an die Öffentlichkeit gebracht hat – denn es gibt nichts, vor dem sich die Militärs mehr fürchten.

Jetzt wissen wir’s. Entscheidend wird nun sein, was wir mit diesem Wissen anstellen.

Übersetzung: Arno Frank

Unteroffizier a. D. Alex Tobin, 31, lebt heute als freier Journalist in den Niederlanden