berliner szenen Sonne, Sex, Kunst

Der CSD ist anderswo

Berlin-Kreuzberg, Samstag, 28. Juni 2003, 16 Uhr 58. Die Oranienstraße gibt sich sonnig und heiß. Ein kleiner Junge dampft in einem X-Berg-T-Shirt vorbei, zwei Frauen unterhalten sich in einem verdecklosen VW Käfer. Der CSD ist woanders. In zwei Minuten soll hier eine Performance stattfinden, aber noch passiert nichts.

17 Uhr drei: Zwei Männer mit Fotoapparat und Digicam fallen aus dem Hinterhof des SOX 36 heraus, bauen sich vor dem Schaufenster auf. Dort erscheint eine Frau, zieht sich ein rotes Hemd über, schlägt einen Purzelbaum und zieht sich das Hemd umständlich wieder aus. Die junge Frau heißt Yvette Porter, stammt aus Montreal und macht das jetzt schon zum zehnten Mal. Weitere sieben Male sollen folgen, zu jeder vollen Stunde, bis Mitternacht.

Der Fotograf entpuppt sich als Lance Blomgren, Schriftsteller. Der sollte jetzt eigentlich ein Textplakat aufhängen. Wie jeden Tag um 17 Uhr (bis Mittwoch). Heute wird das aber nichts, außer mir ist nämlich keiner da, man muss also auf CSD-Ausläufer oder Schwimmbadrückkehrer und Grillaufbrecher warten. Stimmung sonst? Gut. Klar, Sonne und Kunst, super Sache. Die kanadische Botschaft hat Geld spendiert, in den Texten geht es um „space & apartments“, wie Mr. Blomberg sagt, also um Sex.

In Montreal sähe es da aus wie hier, meint er weiter. Billiger Wohnraum, davon auch reichlich, Platz ohne Ende, und überall finden Kleindramen um Liebe und Leidenschaft statt. Wäre also prima, hier seine Texte hinzukleben, jeden Tag eine andere Häuserwand. Urban Poetry. Und wer die Texte mitnehmen möchte, darf das tun. Zum Abschied gibt es noch eine Rose zu verschenken. Sie ist gelb. Gelb steht für Eifersucht. RENÉ HAMANN