Astrid im Kummerland

Nicht nur Kugelstoßerin Astrid Kumbernuss wollte schnell weg aus Ulm: Bei ihren Meisterschaften wartete die deutsche Leichtathletik weitestgehend vergeblich auf neue Hoffnungsspender

aus Ulm FRANK KETTERER

Die große Sporttasche war schnell gepackt, das Warten auf die Siegerehrung dauerte schon etwas länger. Dann, als die Medaille endlich um ihren Hals baumelte, gab es für Astrid Kumbernuss kein Halten mehr. Mehr oder weniger unbehelligt machte sich die alte und neue deutsche Meisterin im Kugelstoß aus dem Staub; wer etwas von ihr wissen wollte zum aktuellen Stand der Dinge nur ein paar Wochen vor der WM in Paris, musste die Neubrandenburgerin schon am Hinterausgang des Ulmer Donaustadions abpassen. 19,36 Meter sind ja auch nicht groß der Rede wert, jedenfalls nicht für eine, die schon Olympiasiegerin war und dreimal Weltmeisterin. Ihren siebten deutschen Meistertitel nahm die 33-Jährige eher mit Routine zur Kenntnis, so ganz zufrieden mit sich und der Weite war sie nicht. „Technisches Unvermögen“ habe die Stöße bei den deutschen Meisterschaften begleitet, jeweils zu weit weg vom Balken habe sie die Kugeln auf den Weg geschickt. Allzu tragisch wollte Kumbernuss das dann aber auch nicht nehmen. „Die Form ist schon da“, fand sie, nur an der Weite fehlt es noch ein bisschen. In technischen Disziplinen kann ein solches Paradoxon tatsächlich vorkommen.

Wobei: Dass sie die Kugel nicht mehr auf die ganz großen Weiten katapultiert bekommt, so wie früher, ist Astrid Kumbernuss durchaus bewusst. Schnellkraft und Explosivität lassen nach im Alter, auch bei einer, die schon alles gewonnen hat im Leben. Kumbernuss hat darauf reagiert und ihre Technik umgestellt, sie kleidet nun nicht mehr ganz so tief aus der Hocke an, das erfordert etwas weniger Schnellkraft und gibt dem Körper mehr Stabilität beim Stoß. Die Frage ist nur: Wie weit geht es mit dieser technischen Umstellung noch?

Astrid Kumbernuss rollt mit den Augen, wenn sie danach befragt wird, ein bisschen genervt sieht das aus. 21 Meter? Da winkt sie nur ab, und man weiß nun, dass sie damit selbst nicht mehr rechnet. Also dann: 20? „Ach, ihr mit euren 20 Metern“, sagt die 33-Jährige dann und auch, dass sie über so etwas nicht mehr nachdenke, weil die 20 Meter für sie nicht mehr das Maß aller Dinge seien. „Wenn ich bei der WM mit 19,90 m Bronze gewinne, bin ich zufrieden“, sagt Astrid Kumbernuss dann noch. Bronze bei ihrer letzten WM wäre schön, spätestens nach Olympia 2004 in Athen will sie aufhören mit der Kugelstoßerei. Eine große Karriere geht dann zu Ende, so viel steht heute schon fest.

Ob im Ulmer Donaustadion eine solche auch begann, ist hingegen noch offen. Aufregend aber war es allemal, was Marius Hanniske beim Hochsprung der Männer bot. Wie Jung-Thränhardt sieht der 18-Jährige Berliner aus: blonde Mähne, dünn und lang wie ein Spargel, dazu Beine wie ein Storch. Das Beste aber: Der Junge kann auch noch hoch springen wie der Teufel, jedenfalls hat er das im Donaustadion so getan: Mit einer Bestleistung von 2,14 m war er angereist, mit 2,23 m und der Silbermedaille fuhr er zurück in die Hauptstadt. Für einen 18-Jährigen ist das sehr beachtlich; mit etwas Glück, viel Arbeit und wenig Verletzungen wächst dem Deutschen Leichtathletik Verband da vielleicht ein Siegertyp heran, auch wenn es für die WM in Paris noch nicht reicht, bei 2,30 m steht da die Qualifikationsnorm.

Viele Lichtblicke wie den jungen Hochspringer Hanniske gab es in Ulm freilich nicht zu bestaunen, ganz im Gegenteil: Die deutschen Meisterschaften im Schwäbischen waren eher die Meisterschaften der Mittelmäßigkeit, knapp zwei Monate vor Beginn der WM tat sich kaum ein neuer Hoffnungsspender hervor. Zwar hoffen die DLV-Verantwortlichen unvermindert, 65 bis 70 Teilnehmer zur WM schicken zu dürfen und somit doch deutlich mehr als vor zwei Jahren in Edmonton (39), schon jetzt aber lässt sich prognostizieren, dass das Plus an Masse kaum für ein Mehr an Klasse sorgen wird. Genau genommen nämlich fährt der DLV ohne einen einzigen wirklichen Goldkandidaten nach Paris. Die deutschen Meister Lars Riedel (66,60 m/Diskus), Karsten Kobs (77,98 m/Hammer), Tim Lobinger (5,75 m/Stabhoch), Boris Henry (84,96 m/Speer), Ingo Schultz (45,29 Sek./400 m), Yvonne Buschbaum (4,70 m/Stabhoch), Kumbernuss, Susanne Keil (71,15 m/Hammer) und Steffi Nerius (64,42 m/Speer) können bei der WM zwar in Medaillennähe rücken, zwingend erwarten aber muss man das nicht. Noch weniger ist das bei derzeit verletzten Stars wie Heike Drechsler oder 800-m-Olympiasieger Nils Schumann der Fall.

Wie schwer es ist, rechtzeitig auf die Beine zu kommen, hat schon in Ulm 400-m-Läuferin Grit Breuer erfahren müssen, die schon seit längerer Zeit mit Achillessehnenbeschwerden zu kämpfen hat. Bei ihrem Saisoneinstand lief sie nun die Stadionrunde in auch für sie enttäuschenden 52,26 Sekunden, womit sie nicht nur den Titel (den sicherte sich Claudia Marx in 52,00 Sek.), sondern auch die WM-Norm (51,37) verpasste, die auch Breuer bis spätestens 2. August abgeliefert haben muss. „Wenn die Zeiten nicht stimmen, verzichte ich lieber auf die WM“, kommentierte die EM-Zweite von München ihren Auftritt im Donaustadion. Dann hat auch sie ihre Sporttasche gepackt und sich aus dem Staub gemacht.