Die letzte liberale Woche des Supreme Court

In der nächsten Zeit wird George W. Bush eine oder zwei Richterstellen am höchsten Gericht der USA neu besetzen – mit konservativen Kandidaten

Die beiden Urteilssprüche verbindet ihr Schauplatz des „cultural war“

Es war eine Woche der liberalen Überraschungen, als der amerikanische Oberste Gerichtshof am vergangenen Dienstag erst das Affirmative-Action-Programm der Jurafakultät der Universität Michigan bestätigte und dann zwei Tage später die texanischen „sodomy law“, die Sex zwischen Männern verbot, auf den Müllhaufen der Geschichte trat. Der Überschwang, mit dem die Bürgerrechts- und Schwulenverbände die beiden Urteile begrüßten, dürfte jedoch nicht nur damit zu tun haben, dass es in den vergangenen Jahren wenig Anlässe für amerikanische Liberale gab, sich zu freuen. Es gibt auch allen Grund für die Befürchtung, dass es für lange Zeit die letzte liberale Woche des amerikanischen Supreme Court gewesen sein könnte.

Nun hat die Förderung schwarzer und hispanischer Studenten an einer Elite-Universität auf den ersten Blick nichts mit dem zu tun, was schwule texanische Männer in ihren Schlafzimmern treiben. Was die beiden Urteilssprüche jedoch miteinander verbindet, ist ihre Bedeutung für jenes Schlachtfeld, das der ultrakonservative Richter Antonin Scalia in seiner Begründung, warum er der Mehrheit seiner Kollegen bei der Ablehnung der texanischen Antischwulengesetze nicht folgen könne, den „cultural war“ nannte, in dem sich die USA befänden und in dem der Supreme Court nun Stellung bezogen habe. Scalia bezog dies auf den Einfluss, den die Schwulenverbände mittlerweile innerhalb der amerikanischen Richterschaft geltend machen können. Tatsächlich tobt aber quer durch die gesamte amerikanische Gesellschaft ein Kulturkampf mit extrem unübersichtlichem Frontverlauf.

So wenig etwa der Mythos von den liberalen amerikanischen Medien noch der Wirklichkeit entspricht, wenn es um Nachrichten geht, so sehr wird die Populär- und Alltagskultur nach wie vor von liberalen Werten dominiert. Man mag in Europa noch sehr über die Auswüchse der Political Correctness die Nase rümpfen – wenn es etwa um die Repräsentation von Minderheiten in den Massenmedien geht, sind in den USA in den vergangenen Jahrzehnten Standards erkämpft worden, von denen man in Europa noch nicht einmal träumt. In der politischen Sphäre dagegen gibt die Rechte den Ton an und dafür ist es relativ unerheblich, ob man es mit Republikanern oder Demokraten zu tun hat. Treffen diese beiden Systeme aufeinander, kann man sich des Gefühls nicht erwehren, es mit den Vertretern von zwei feindlichen Ländern zu tun zu haben. Etwa wenn bei den Senatsanhörungen über den verderblichen Einfluss von Popmusik auf die amerikanische Jugend, wo regelmäßig Rapper und Heavy-Metal-Sänger von Funktionären der amerikanischen Elternverbände über ihr Tun befragt werden.

In den kommenden sechs Monaten wird George W. Bush nun wahrscheinlich eine, vielleicht sogar zwei Richterstellen am Supreme Court neu besetzen. Mit einer satten republikanischen Mehrheit im Kongress im Rücken dürfte er wenig Schwierigkeiten haben, einen konservativen Kandidaten durchzusetzen. Das macht es recht unwahrscheinlich, dass die Entscheidung, die Sodomy-Gesetze für verfassungswidrig zu erklären, tatsächlich der erste Schritt auf dem Weg zur vollständigen rechtlichen Gleichstellung Homosexueller ist, wie einige Schwulenverbände hoffen. Auch wenn die Amerikaner gerade eher erstaunt als erschrocken ins benachbarte Kanada blicken, wo vor zwei Wochen die Schwulenehe eingeführt worden ist.

Zwar dürfte der Richterspruch einige Folgen haben, etwa wenn es um die Möglichkeiten zur Kinderadoption durch schwule und lesbische Paare geht. Doch für die anderen Schlachten, die seit Jahren toben – Abtreibungsgegner versus Lebensschützer, Unternehmen versus Verbraucherverbände und Gewerkschaften, Unternehmen versus Umweltverbände, Gegner der Todesstrafe versus Befürworter, Bürgerrechtler versus Fanatiker der inneren Sicherheit –, werden die Neubesetzungen am Supreme Court einen konservativen Rollback bedeuten.

Vor diesem Horizont nimmt sich ein Satz, den die als konservativ geltende Richterin Sandra Day O’Connor in die Begründung des Affirmative-Action-Urteils schrieb, schon fast wie ein Silberstreif der liberalen Hoffnung aus: „Wir erwarten“, heißt es da, „dass die Bevorzugung bestimmter Hautfarben in 25 Jahren nicht mehr nötig sein wird, um jenen Zweck (die Förderung der ethnischen Vielfalt auf dem Campus, T.R.) zu erreichen.“ In anderen Worten, für 2028 rechnet der Supreme Court mit dem Ende rassistischer Diskriminierung. Bis dahin dürften noch einige Kämpfe gefochten werden.

TOBIAS RAPP