Endspiele der Kulturpolitik

Ob in Hamburg, Köln oder Brandenburg: Unter dem Druck fehlender Mittel verliert die Kulturpolitik mehr und mehr an Spielraum. Nirgendwo antwortet sie darauf mit einem ernst zu nehmenden Konzept. Absurdes Theater wird zur Politik-Vorlage

Die Kulturpolitik hat ihre Ziele längst aus den Augen verloren

von SIMONE KAEMPF

Der Tag, an dem der potenzielle neue Intendant des Hamburger Schauspielhauses vorgestellt wurde, hatte in der Herrgottsfrühe mit der Nachricht begonnen, dass in Köln alle drei Nebenspielstätten sowie die Kinderoper geschlossen werden sollen, nachdem zuvor schon die Opernintendantin für entbehrlich erklärt wurde. Nachrichten, die sich in diesen Wochen häufen, ob nun Christoph Marthaler in Zürich vorzeitig sein Amt abgibt, weil er die Belastungen nicht mehr aushält, oder in Detmold ein Intendant wegen ein paar Vertrags-Nichtverlängerungen noch vor Amtsantritt gefeuert wird. Vermutlich wird die Entscheidung in Detmold noch mit einem besonderen Verantwortungsgefühl der Stadt gegenüber maskiert – so wie auch der Hamburger Innensenator Ronald Schill in der vergangenen Woche sehr ernsthaft vorschlug, das Deutsche Schauspielhaus einfach dichtzumachen, um aus dem Theaterbudget den hanseatischen Beamten das Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu bezahlen. Ein entlarvbares absurdes Theater, aber allein, dass man darüber geredet hat, schafft eine Atmosphäre, in der plötzlich vieles möglich ist.

In der wachsenden Finanzmisere offenbart sich überall eine neue Hilflosigkeit im Umgang mit den kulturellen Institutionen, die zwar mit den Steuergeldern aller finanziert sind, aber dem Geschmack der Masse nicht das richtige Futter liefern wollen. Randständige, abweichlerische Theaterkunst ist zum Risiko geworden, das man sich nicht mehr zu leisten traut – so wie jenes, das die damalige Kultursenatorin Christina Weiss im Jahr 1998 einging, als sie den Posten am Deutschen Schauspielhaus an den experimentierfreudigen Tom Stromberg vergab. In seinem Theaterversuchslabor ist anfangs fast alles krachend schief gegangen und auch die gelungenen Abende erforderten eine gewisse Komplizenschaft des Zuschauers. Doch erst nach Bekanntwerden der miserablen Zuschauerzahlen und verfehlten Finanzpolitik geriet der Intendant in Legitimierungsnot.

Strombergs jüngstes Angebot, das Haus über seinen jetzigen Vertrag hinaus weitere drei Jahre bis 2008 zu leiten, war ein letztes trotziges Muskelspiel im Dauerclinch zwischen dem Intendanten und der Kultursenatorin Dana Horáková. Im letzten Waffengang hat sie sich in den ihr eigenen Methoden aus Konfliktscheue und Hinterrücks-Entscheidungen noch einmal selbst übertroffen und für die entscheidende Sitzung des Aufsichtsrats staatsstreichartig vier Mitglieder ausgetauscht, die sich prompt mit dem einstimmigen Votum für eine Neubesetzung der Schauspielhaus-Intendanz bedankten. Seit Freitag steht nun fest: Aus dem halben Dutzend Namen, die seit Monaten kursierten, ist Matthias Hartmann hervorgegangen. Der Kultursenatorin wurde das Mandat erteilt, mit dem Bochumer Intendanten zügig über die Nachfolge am Hamburger Schauspielhaus ab 2005 zu verhandeln.

Hartmann hat sich als geschickter Erfolgsintendant erwiesen, der in drei Spielzeiten die Bochumer Zuschauerzahlen im Vergleich zum Vorgänger Haußmann verdoppelt hat. Als Regisseur bevorzugt er psychologisches Ausloten statt kühnes Dekonstruieren, die Texte von Botho Strauß stehen ihm näher als René Pollesch. Gastauftritte von Harald Schmidt kontrastiert er wundersam mit Uraufführungen von Sibylle Berg oder einem Helge-Schneider-Reiter-Musical. Schätzt die Hamburger Kultursenatorin derlei? Die Glanz-und-Gloria-Kultur, die sie zu ihrem Amtsantritt im Februar 2002 versprach, kam über das Niveau der Pläne für eine Musikhalle mit eingebautem Aquarium oder die Einrichtung eines Terror-Museums nie hinaus. Während sie einerseits forderte, die Kultur müsse vom Steuerzahler auch verstanden werden, schmückte sie sich in anderen Reden damit, nur Avantgarde finanzieren zu wollen. Die Hoffnung, dass sie selbst den Tisch räumen müsse, bevor zukunftsrelevante Personalentscheidungen zu fällen seien, hat sich nicht erfüllt. Aus mangelndem Vertrauen in ihre Person hat es Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher aus der Stadt getrieben. Ein schmerzhafter Verlust, und ob Simone Young ein adäquater Ersatz ist, wird sich noch zeigen müssen.

Man wird den Verdacht nicht los, dass Horáková statt auf die künstlerischen Talente Hartmanns auf ein zweites Intendantenwunder setzt, mit dem das Hamburger Schauspielhaus wieder zur ersten Adresse werden soll. Doch allein mit warmen Worten ist Hartmann nicht nach Hamburg zu locken. Am Wochenende ließ er mehrfach verkünden, sich nach Gesprächen mit beiden Städten bis zum Herbst für das Theater zu entscheiden, an dem er seinen künstlerischen Weg am besten weitergehen kann.

Vielleicht dreht Hartmann auf diese Weise den Spieß wieder um und diszipliniert die Kulturpolitik dazu, die Kunst nicht misstrauisch abzustrafen, sondern ihr ideale Bedingungen zu erschaffen. Ein einmaliges Beispiel wäre das in Zeiten, wo Intendanten entweder entlassen werden, weil sie es wagen Stellen, Spielstätten, Sparten neu zu besetzen, oder alternativ, weil sie nicht streichen, kürzen, zusammenlegen. Wer bleibt, zittert vor den Tariferhöhungen oder turnusmäßigen Kürzungen, von denen sie meist erst mitten im Jahr erfahren.

Wie Theaterkunst und Theaterapparat nicht mehr zusammenzukriegen sind, lässt sich im Land Brandenburg schon im fortgeschrittenen Zustand beobachten. Den neu gebauten Theater- und Kongresshäusern fehlen Ensembles, die sie bespielen können, die großzügig erhaltenen Orchester streiten sich um die wenigen Spielmöglichkeiten. Eine erneute Verschärfung der brandenburgischen Lage ist mit den nächsten 10 Millionen Euro, die eingespart werden sollen, schon belegt, aber die Kulturpolitik will nichts davon wissen, dass sie ihre Ziele längst aus den Augen verloren hat.