Nur Übertreibungen sind realistisch

Wie es zum Beispiel im Ex ’n’ Pop wirklich war: der Band „Tamara und Konsorten“ von Almut Klotz und Rev. Dabeler

Der kleine Erzählungsband „Tamara und Konsorten“ von Almut Klotz und Rev. Christian Dabeler – prima! Das Buch ist im Ventil Verlag erschienen, wo es auch die schönen Bücher von Linus Volkmann gibt. Zum Beispiel „Smells like Niederlage“. Ich hatte das Buch auf dem Rückweg von einer Veranstaltung in Göttingen gelesen, auf der ich über Hasch referiert hatte; ein Thema, das ich mir etwas vorschnell ausgesucht hatte.

Ich war jedenfalls ziemlich wirr gewesen und noch arg erledigt, als ich übermüdet in der Bahn saß und dies Buch von Almut Klotz und Christian Gabler las. Almut Klotz hatte früher die Lassie Singers gemacht und Rev. Christian Dabler war als Kumpel Eule von Rocko Schamoni in den wunderbaren „Roll Aller“-Filmen von Henrik Peschel aufgetreten.

Im Zug hatte ich oft gekichert beim Lesen. Selbst beim Zahnarzt im Wartezimmer. Die Zahnarzthelferinnen trugen Zahnarzthelferinnenkittel, auf deren Rückseite: „Wir operieren sicher besser als wir laufen“ stand. Sie waren alle beim Berlin-Marathon mitgelaufen. Ich las im Buch gerade den Satz: „Mein Gott, die waren wirklich alle echt, und meinten es ernst.“

Das Buch enthält 13 Geschichten. Es geht um Anziehsachenfetischismus, Lebenseinrichtungsversuche, teuflische Kinder, die Geschichte einer Band, um Sex und Liebe. Der Ex-Punk Martin Knaller trifft einen Freund von damals, der ins normale Leben desertiert ist. Ein kleiner Briefroman ist auch dabei.

Manches ist übertrieben; aber eigentlich ist alles realistisch. Der Ort, von dem aus erzählt wird, ist nicht die Mittelklasse. Es ist klar, dass man sich nicht mehr versteht, wenn das Kind einer alten Freundin Marlon-Shui heißt. Manchmal freut man sich, dass man aus Norddeutschland kommt, wenn einem die beiden Alt-Freaks „Schorsch und Günnni“ begegnen oder wenn jemand einen anderen „du Suppenkasper“ nennt.

Es ist nicht nur die große Komik mancher Passagen, die das Buch so gut machen; es sind auch die sehr bildlichen, atmosphärisch dichten Beschreibungen von Orten, an denen dies oder das geschieht. Dieser Gewerbehof hinter Unkraut und Gestrüpp in der Nähe der Elbbrücken in einer ganz seltsamen, sozusagen subproletarischen Geschichte von Christian Dabeler, die von Heinz, einer Europalettenbauerin handelt; diese total feindselige, böse, ländliche Gegend der Kindheit in einer Geschichte von Almut Klotz.

Seltsamerweise waren die Bilder, die sich beim Lesen einstellen, undeutlicher, wenn es um Orte ging, die man selber kannte. Irgendwann ging es zum Beispiel auch ums alte Ex ’n’ Pop in der Mansteinstraße, einen Ort, an dem ich oft war. Ich stellte mir beim Lesen die Räume des alten Ex ’n’ Pop vor, Harry Hass und Evelyn hinterm Tresen, die laute Musik, den kleinen „Drogenraum, den Raum mit dem Kicker und dem Flipper“ auf dem Weg zum Klo usw. Das Erinnerungsbild war aber blasser als die Bilder anderer Orte, die beim Lesen der anderen Geschichten im Kopf entstanden. Bei einer Passage aus der „Herman-Brood-Ballade“, die Ende der 70er-Jahre spielt, dachte ich: Genau; hatte ich ganz vergessen, dass es so war: „Zu der Zeit begann wohl seine Arty-Space-Geheimwelt. Bis dahin wurden alle Neuentdeckungen unter Freunden begierig ausgetauscht, aber er fing nun an, diese vor den anderen zu verstecken. Roxy Music, David Bowie und so. Der Schulhof und die darauf rumlaufenden Spacken durften das nicht entzaubern. Niemand durfte auch nur ahnen, dass Brian Eno überhaupt existierte.“

Das Buch ist also prima. Ziemlich gut sind auch die Auftritte von Almut Klotz und Rev. Christian Dabeler, bei denen sie teils lesen, teils singen. Neulich im „Max und Moritz“ in Kreuzberg zum Beispiel. Manche aßen Schmalzbrote zum Bier dabei. Vielleicht war’s auch Quark.

DETLEF KUHLBRODT

Almut Klotz, Rev. Christian Dabeler: „Tamara und Konsorten“. Ventil Verlag, Berlin 2008, 136 Seiten, 9,90 €