Ein Platz, der die Mittelmäßigen lockt

An der offenen Stadtlandschaft Kulturforum, die sich Hans Scharoun vorstellte, haftet bis heute der Makel des Unvollständigen. Ausbaupläne, die der Senat entwickeln ließ, sind heftig umstritten. Eine Podiumsdiskussion öffnete jetzt vielleicht die Debatte

VON FLORIAN HEILMEIER

Als Peter Strieder noch Senator für Stadtentwicklung war, hat er gefordert, es müsse einen gesellschaftlichen Dialog über das Kulturforum geben. Der Bund deutscher Architekten (BDA) nahm die Einladung gerne an und veranstaltete am Montag im Wissenschaftszentrum für Sozialforschung direkt neben der Neuen Nationalgalerie eine äußerst unterhaltsame Podiumsdiskussion, bei der erstaunlich viele unterschiedliche und größtenteils schwer zerstrittene Parteien an einen Tisch gebracht werden konnten.

Hans Stimmann war trotz Einladung nicht erschienen. Dabei war er mit schuld, dass die Diskussion aufs Neue entbrannt ist: Die im Februar von Strieder präsentierten „Pläne zur Weiterentwicklung des Kulturforums“ trugen allzu deutlich die Handschrift des Senatsbaudirektors.

Von den Architekten Hillmar und Sattler entwickelt, führen diese Pläne die „Weiterentwicklung“ der 1959 von Hans Scharoun und Edgar Wisniewski begonnenen Stadtlandschaft des Kulturforums ad absurdum. Scharoun wollte ein offenes Stadtbild, das sich in seinen gestalterischen Gründzügen an der Landschaft orientiert. Die Gebäude sollen sich in einem Wechselspiel von dominanten Solitären und Freiflächen zueinander verhalten „wie Wald und Wiese, Berg und See in einer schönen Landschaft“.

Das war vor allem ein Gegenentwurf zum geschlossenen Stadtbild der Kaiserzeit und zu den brachialen Achsplanungen der Nazis. In der Stadtlandschaft des Kulturforums werden so gegensätzliche architektonische Meisterwerke wie die Nationalgalerie, die Philharmonie und die Matthäikirche eingebunden und in ein harmonisches Ganzes geführt.

Diese Vision einer neuen Stadt besitzt aber auch gravierende Mängel. Sie ist monofunktional, und sie ist romantisch in ihrer Vorstellung, die Architektur könnte die Gesellschaft verändern. Das Kulturforum ist ausschließlich der öffentlichen Bildung geweiht, hier sollten kluge Menschen zwischen den Museen, der Philharmonie und der Staatsbibliothek lustwandeln. Weitere Funktionen, die diesen städtischen Raum beleben könnten, sind nicht entstanden. Heute wird dann auch die Menschenleere beklagt, der Mangel an Cafés und Aufenthaltsqualität.

Das Hauptproblem des Kulturforums ist aber, dass Scharoun die Planungen zu Lebzeiten nicht mehr vollenden konnte. Seitdem haftet am Kulturforum der Makel des Unvollständigen, und das lockt in Berlin immer die Mittelmäßigen an. Schon mit dem Bau des Kunstgewerbemuseums von Rolf Gutbrod samt zugehöriger „Piazzetta“ und der Gemäldegalerie von Hillmar/Sattler sind Gebäude hinzugefügt worden, die die Idee der organischen Stadtlandschaft schlicht ignorieren.

Am Montag wurde in einem erfreulich toleranten ersten Teil der Veranstaltung verschiedenen Architekten Gelegenheit gegeben, ihre Vorschläge für ein weiteres Vorgehen vorzustellen. Beginnen durfte Edgar Wisniewski, der mit bewunderswerter Ausdauer seit vierzig Jahren für die Vollendung der Scharoun’schen Planungen streitet. Rolf Gutbrods Vertreter widmete seinen Vortrag dem Erhalt der so schwer in die Kritik geratenen Piazzetta. Diese schwer begreifliche Ansammlung schräger Ebenen, die einmal zentralen Zugang zu den westlichen Museen bieten sollte, ist wie das gesamte Kulturforum nie vollendet worden. Ein Restaurant sollte hier stehen, daneben begrünte Sitzstufen. Fast alle neuen Planungen wollen sie gänzlich abreißen.

Christoph Sattler hatte die Aufgabe übernommen, die im Februar für den Senat entwickelten Pläne vorzustellen. Diese sehen erstens vor, die Piazzetta abzureißen; an ihre Stelle tritt ein ebenerdiger Museumsplatz. Vor die Museen kommen zweigeschossige Arkaden, die vor dem Kunstgewerbemuseum in einem 40 Meter hohen Turmbau für Museumsshops und Büros gipfeln, die Berliner Zeitung sprach schon begeistert von einem „Markusplatz mit Campanile fürs Kulturforum“. Zweitens soll dem Platz um die Matthäikirche seine historische Gestalt wiedergegeben werden. Dazu wird eine „Blockrandbebauung“ an beiden Seiten vorgeschlagen, wie sie nur aus dem Hause Stimmann kommen kann.

Die mit Abstand meisten Lacher ernteten aber Huber/Kleine-Kranenburg aus Frankfurt, die für das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung eine Planung erarbeitet haben, die zwar die Freiräume des Forums bewahren, sie aber mit zwei enormen Turmbauten „rahmen“ wollen; der „Bücherturm“ an der Bibliothek würde stolze 250 Meter hoch sein. Die „harmonische Dialektik“ aus horizontalen und vertikalen Gebäuden wäre der „Weltstadt Berlin“ angemessen.

Die anschließende Diskussion konzentrierte sich aber auf die Planungen von Hillmar und Sattler – wohl weil bei dieser am meisten zu befürchten ist, dass sie ausgeführt werden könnte.

Kultursenator Thomas Flierl und SPD-Bauexperte Bernd Schimmler stellten zwar klar, dass sie keine Planungsgrundlagen seien und der Senat sie lediglich als Diskussionsbeiträge zur Kenntnis genommen habe, am Rande durch die Diskussion geisterten aber das Ahornblatt und der Palast der Republik vorbei. Flierl gab einmal mehr den Widerpart zu Hans Stimmann und forderte eine tolerantere Politik in der Berliner Stadtentwicklung, hin zu einer Vielfalt, die der Stadt angemessen wäre. Peter Schmidt-Thompsen, Präsident der Berliner Architektenkammer, schlug eine vollkommen pragmatische Herangehensweise vor. Trotz ästhetischer Bedenken gegen die Piazzetta müsse diese ja nicht abgerissen werden, es müsse aber etwas gegen die schlechte Orientierung in den Freiräumen und gegen die Rutschgefahr auf den schrägen Ebenen unternommen werden. Auch Cafeterias auf dem Kulturforum wollte er nicht dulden, er betonte den positiven räumlichen Gegensatz zum Potsdamer Platz, und Würstchen könne man sich ja dort kaufen.

Die meisten Teilnehmer waren sich in der Analyse der Missstände einig, in der Frage ihrer Behebung konnte am Montag natürlich keine Übereinstimmung erreicht werden. Einig war man sich aber auch, dass die bisher erarbeiteten Vorschläge höchstens Anregungen seien, keiner davon könne umgesetzt werden. Viele waren sich mit Berlins BDA-Vorsitzender Christine Edmaier eins, dass nur in einem offenen Wettbewerb mit etwas Glück eine Lösung dieser äußerst komplexen Aufgabe gefunden werden kann.

Es war erfreulich zu sehen, dass eine Diskussion über die Zukunft des Kulturforums auf hohem Niveau zu führen ist, wenn sich die Streitparteien an einen Tisch setzen. Es ist zu wünschen, dass dieser Debatte die Zeit gegeben wird, die es dauert, zu einem klugen und demokratischen Ende zu kommen. Nur so kann – vielleicht – eine tatsächliche „Weiterentwicklung“ gefunden werden, ob sie nun in Scharouns Sinne sei oder nicht. Ein Anfang wurde am Montagabend in Tiergarten gemacht, und zu wünschen wäre auch, dass Hans Stimmann beim nächsten Mal die Zeit für den gesellschaftlichen Dialog findet. Er hatte übrigens mit der Begründung abgesagt, er plane selbst eine Veranstaltungsreihe zu dem Thema.