Die Gräte steckt im Hals

Roberto Fabián Ayala ist der beste Innenverteidiger der Primera División. Heute will er das auch im Uefa-Cup-Finale in Göteborg zeigen – und den FC Valencia gegen Marseille zum Titel führen

AUS VALENCIA RONALD RENG

Roberto Fabián Ayala wurde schon als Junge erwachsen. Früh lernte er die wichtigen Dinge im Leben: Frauen zu lieben und Stürmer fertig zu machen. Mit 16 wurde er Vater, mit 15 bereits spielte er in einem Männerteam Fußball. Nach Vorbildern brauchte er nicht weit schauen, sein eigener, damals 35-jähriger Vater war sein Partner in der Innenverteidigung des argentinischen Amateurteams San José. Einmal, erinnert sich Ayala, traf sein Vater „auf einen dieser verfluchten Angreifer, denen auch der Krieg gefällt. Sie gingen vor dem Spiel gemeinsam zum Schiedsrichter und sagten: ,Was immer auch passiert, gib bitte keinem von uns eine gelbe Karte, wir regeln das unter uns.‘ Und nach dem Spiel wurden beide, der Stürmer und mein Vater, mit vier Stichen am Kopf genäht.“

Seine Erziehung ist noch immer in ihm. Heute ist Ayala 31, der beste Innenverteidiger der spanischen Primera División, einer der begehrtesten Profis der Welt, um den sich unter anderem Real Madrid und der FC Chelsea bemühen; einer dieser modernen Abwehrspieler, die ihre Arbeit mit unheimlicher Antizipation, fantastischem taktischem Verständnis und beachtlicher Balltechnik regeln. Er ist nur 1,77 Meter groß, aber einer der Stärksten beim Kopfball. Doch in seinem so modernen Spiel leben die altmodischen Bräuche von Verteidigern aus einer längst vergangenen Zeit fort. „Auf dem Spielfeld ist es so“, sagt Ayala: „Wenn mich einer beleidigt, beleidige ich ihn, wenn mich einer schlägt, schlage ich ihn.“

Die Leute reden heutzutage immer von Spektakel, als ob dies das Wichtigste im Sport sei, und sie meinen Hackentricks, Dribblings, Trallala. Doch am heutigen Mittwoch im Uefa-Cup-Finale in Göteborg (20.45 Uhr/ARD) zwischen Ayalas Team, dem gerade gekürten spanischen Meister FC Valencia, und Olympique Marseille, werden sie ein Spektakel der anderen Art erleben: Im Duell zwischen Ayala und Marseilles Stürmer Didier Drogba, der Offenbarung dieses Europacupjahres mit elf Toren in Champions League und Uefa-Cup, wird es vermutlich blitzen und donnern wie zuletzt 1998. Damals gingen im Endspiel des Pokalsiegerwettbewerbs der Stuttgarter Thomas Berthold und Chelseas Italiener Gianluca Vialli wie elektrisierte Ringer aufeinander los. Mit Unfairness hat das nichts zu tun. Nur mit der alten Verteidigerehre, „dass es dort auf dem Rasen ein Duell gibt. Und das musst du gewinnen, koste es, was es wolle“, sagt Ayala.

Seine gewöhnlich schon langen Haare erreichten in den vergangenen Wochen die Schultern. Er schwor, sie nicht zu schneiden, bevor nicht der Uefa-Cup gewonnen ist. Denn mag Valencia seit der spanischen Meisterschaft vor zehn Tagen auch die im öffentlichen Ansehen wichtigere Trophäe bereits in der Vitrine haben, so ist diese Elf doch besessen vom Finale in Göteborg. Zweimal, 2000 gegen Real Madrid und 2001 gegen Bayern München, verlor Valencia das Endspiel der Champions League. Es ist praktisch noch immer dieselbe Mannschaft, sieben aus der Startelf von 2001 sind gegen Marseille wieder dabei, und auch wenn es diesmal nur der kleinere der zwei Europacupwettbewerbe ist, so ist es doch ein besonderer Ehrgeiz, endlich ein Finale zu gewinnen. „Es ist die Gräte, die uns noch im Hals steckt“, sagt Ayala.

Selbst beim Ligagewinn – dem zweiten in drei Jahren – mussten sie sich die Aufmerksamkeit mit Real Madrid teilen: Es war nicht nur Valencia, das den Titel gewann, sondern auch Real mit seiner vermeintlichen Wunderelf, das die Liga verlor. Und selbst am Tag des valencianischen Triumphs konnte es etwa die Sportzeitung Marca nicht lassen, Valencias Spiel als einen „spekulativen, perversen, skrupellosen Fußball“ zu geißeln.

Längst hat das populistische Geplapper der Madrider Kampfblätter die öffentliche Meinung gefärbt: Valencia langweile. In Wahrheit ist es ein Team, das Fußball auf alle Arten spielen kann – und weiß, wann es der Defensive Vorrang gewähren muss. 20 Mal in den bislang 37 Ligaspielen blieb man ohne Gegentor. Aber Valencia gewann auch 6:1 in Malaga und 5:0 auf Mallorca, es hat in Rechtsaußen Vicente und Regisseur Aimar Spieler, die Poesie in den Angriff bringen.

Doch ihr Symbol, ihr Gesicht ist Ayala. Der, der so grimmig schaut. Als er einmal für ein Foul an Ronaldo mit einem Elfmeter bestraft wurde, sagte Ayala zu dem legendären Stürmer: „Beim nächsten Mal schlage ich dir die Zähne ein.“ Ein paar Spielminuten später sah der sanfte Ronaldo die einzige rote Karte seiner Karriere. Er hatte Ayala einen Ellenbogencheck verpasst; vor lauter Panik, Ayala würde ihm was antun. „Es war das einzige Mal im Fußball, dass ich Angst hatte“, gestand Ronaldo.

Abseits des Rasens ist Ayala ein freundlicher Mensch. Wenn er in Valencia spazieren geht, erkennen ihn die Leute. Er würde dann gerne ein paar nette Worte mit ihnen wechseln. Meistens allerdings, sagt er, hätten die Leute Angst, ihn anzusprechen.