Keine Zerknirschung am Werkstor

Nach der Kapitulation der IG Metall sind die VW-Arbeiter in Dresden wortkarg, aber nicht demoralisiert. Ausgerechnet der Arbeitgeberverband entdeckt nun seine Liebe zum Flächentarifvertrag – und bietet eine Rückkehr zum Stand des Vorjahres an

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

„Gut, dass es endlich wieder losgeht!“ Beim ersten Schichtwechsel nach dem Streik in der „Gläsernen Manufaktur“ von VW in Dresden überwiegt bei den jungen Männern am Tor Erleichterung. Geregelte Arbeit ist eben etwas wert. Sehr redselig sind die Monteure der Luxuskarosse Phaeton nicht. Sie nehmen den Medien übel, dass diese ihre Isolation während des Streiks noch verstärkt hätten. Von großer Zerknirschung nach einer Niederlage ist aber auch wenig zu spüren. „Vielleicht war es der falsche Zeitpunkt, aber die Ziele bleiben richtig und gerecht!“, sagt Nico.

Großen Eindruck hat offenbar der Theaterdonner von BMW und anderen potenziellen Investoren gemacht, ihr Engagement in Ostdeutschland zu überdenken. Mit solchen Drohungen ist der Osten schnell zu erpressen.

Die Arbeiter haben das Ihre getan, aber wer ist denn nun schuld an der Niederlage? Die Schelte für die Gewerkschaftsbosse bleibt aus. Achselzucken stattdessen, auch bei der Frage nach der Zukunft. „Erst mal sehen, was der Haustarif bringt.“ Wie die meisten rechnet auch Betriebsratsvorsitzender Ulrich Jensch mit Haustarifverhandlungen, wie sie die IG-Metall-Spitze am Wochenende angekündigt hatte. Doch beim Arbeitgeberverband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie heißt es, Volkswagen mit seinen Standorten in Mosel und Dresden bleibe als größter Betrieb Verbandsmitglied.

Für manchen überraschend entdeckte gestern nämlich der im Ruf eines Scharfmachers stehende Verband seine Liebe zum Flächentarif wieder. Man habe unter Druck stehenden Einzelunternehmen lediglich den Austritt ermöglicht, um die Verbandsposition insgesamt zu erhalten, sagte Präsident Bodo Finger. Wie ein Triumph waren solche Austritte und eine Mit-gliedsquote von nur noch 10 Prozent der Unternehmen vermeldet worden, um die Bedeutungslosigkeit des Flächentarifs zu unterstreichen. Im Frühjahr stand der VSME, dessen ehemalige Mitglieder sich im tariflosen „Sachsenmetall“ wiederfinden, schon einmal vor der Auflösung.

„Uns liegt alles am Flächentarifvertrag. Das war nie anders“, verkündete Präsident Finger gestern. „So froh wir sind, dass unsere Mitgliedsunternehmen diesen Streik durchgestanden haben, wäre uns ein akzeptabler Tarifabschluss lieber gewesen.“ Ohne Häme oder Schadenfreude ergehe deshalb an die IG Metall das Angebot, die beiderseits gekündigten Tarifverträge einschließlich des Manteltarifs auf dem Stand des Vorjahres wieder in Kraft zu setzen. Nur in der Fläche ließen sich verbindliche Modernisierungen des Tarifrechts durchsetzen, unter denen die Arbeitgeber allerdings weitere Öffnungsklauseln verstehen.

Damit war der scheinbare Rollentausch noch nicht erschöpft. Ebenso überraschend schwenkte der VSME auf das in der Schlussphase des Streiks eröffnete Gewerkschaftsangebot ein, in einem Gesamtrahmen einen Arbeitszeitkorridor zwischen 35 und 40 Wochenstunden je nach Betriebslage zu eröffnen. Die IG Metall hatte sich bei Redaktionsschluss noch nicht positioniert.