Der Rotstift regiert

Das Vorziehen der Steuerreform beschert den Ländern Milliarden Mindereinnahmen. Sie suchen Sparmöglichkeiten

von CHRISTIAN FÜLLER

Am Sonntag noch saß das rot-grüne Kabinett am Kirschholztisch im Schloss Neuhardenberg, um Visionen zu beschließen. Bereits morgen soll am Kabinettstisch im Berliner Kanzleramt aus der Steuer-Utopie ein beschlussfertiges Gesetz werden. Rot-grüne Bastelarbeiten an Steuernormen fürchten vor allem die Länder. Für sie entwickelte sich schon die letzte große Steuerreform 2000 mit milliardenschweren Einnahmenverlusten zu einem Finanzdesaster.

„Hier wird seit Wochen fieberhaft gerechnet“, heißt es in der Grundsatzabteilung eines Finanzministeriums, „wie wir die Mindereinnahmen aus dem Vorziehen der Steuerreform auffangen können.“ Keiner der Länderfinanzminister will mit eigenen Sparvorschlägen aus der Deckung – schon gar nicht die Parteifreunde von Rot-Grün in Berlin.

Egal, wo man auch hinschaut in die Landesetats: Die rund 18 Milliarden Euro, die durch die vorgezogene Steuererleichterung 2005 für Bürger, Handwerker und Selbständige frei werden, treffen die Länder hart. Im klammen Mecklenburg-Vorpommern etwa müssten 170 Millionen Euro zusätzlich mobilisiert werden, im Nachbarland Schleswig-Holstein sind es 210 Millionen Euro.

Die Ministerrunden sitzen bereits jetzt missmutig in „Sparklausuren“, um weit geringere Einsparungen zusammenzukratzen. Ab heute etwa brüten Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) und ihre Minister in Kiel hinter verschlossenen Türen. Kommendes Wochenende sperrt sich das Kabinett von Harald Ringstorff (SPD) in Schwerin ein. Auch dort regiert der Rotstift – und nicht die von PR-Strategen gut sichtbar gemachte Spendierhand, die zweistellige Milliardenbeträge unters Volk bringt.

In Berlin lacht sich der Kanzler ins Fäustchen über seinen gelungenen Coup, die Opposition erneut per Steuerpolitik verwirrt zu haben (siehe Text unten). In den großen Bundesländern wird Schröders taktischer Erfolg teuer bezahlt, sehr teuer. Rund 1,2 Milliarden Euro kostet das verfrühte Steuergeschenk des Kanzlers im Land Baden-Württemberg kommendes Jahr. 1,7 Milliarden Euro Mindereinnahmen erwartet Nordrhein-Westfalen.

Aus dem Haushalt für 2004 in NRW müssen bereits jetzt 1,6 Milliarden Euro herausgeschnitten werden. Streichung des Weihnachtsgeldes und Mehrarbeit für Staatsdiener – von keinem Besitzstand wird Finanzminister Jochen Dieckmann die Finger lassen, wenn er das 48-Milliarden-Budget NRWs ins Lot bringen will. „Die Frage muss erlaubt sein“, schimpft der mächtigste SPD-Finanzminister nach Hans Eichel, „wo wir zusätzliche 1,7 Milliarden Euro hernehmen sollen.“

Das Länder-Lamento ist kein routiniertes Gejammere. Zwar wären die Einsparungen im Jahr 2005 ohnehin fällig gewesen. Gleichwohl bestätigen Finanzexperten wie der Würzburger Volkswirtschaftler Stefan Drews, dass es den Ländern finanziell nicht gut geht. Kein Bundesland wird die Maastricht-Kriterien einhalten können – außer Bayern, das prognostiziert Drews in einer Studie.

Auswege aus der von Rot-Grün aufgestellten Schuldenfalle gibt es für die Länder kaum mehr. Privatisierungserlöse seien nicht zu erzielen, meint Drews, „weil kaum mehr etwas an Substanz da ist“. Grundlegende Reformen wie ein Bürokratieumbau dauerten wiederum Jahre. Offen bliebe den Ländern aus eigener Kraft nur mehr die Finanzierung durch Einsparungen in den Einzeletats. Dabei wird man kaum herumkommen, auch bei Schulen und Hochschulen zu kürzen – wie es bereits jetzt in Niedersachsen, Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt geschieht. Wissen gilt einerseits als Zukunftsausgabe. Andererseits sind Bildung und Wissenschaft die größten Ausgabenblöcke: Sie machen ein Drittel der Landesbudgets aus.

Und so könnte die vorgezogene Steuerreform gegen das Prinzip verstoßen, das Bundesfinanzminister Eichel (SPD) einst zum Markenzeichen erhob – die Nachhaltigkeit. Auf Bundesebene wird er einen Teil der Steuerentlastungen auf Pump finanzieren, also auf Kosten künftiger Generationen. In den Ländern sind mit den Bildungsetats erneut Zukunftsinteressen berührt. Das ist die Vision aus Neuhardenberg für 2004.