Einer von sieben vor Gericht

Das öffentliche Verfahren gegen den Obergefreiten Jeremy Sivits soll der Welt zeigen, dass die Besatzungsmacht Amerika Folter im Irak bestraft

AUS BAGDAD INGA ROGG

Das hat wohl nicht nur die Amerikaner überrascht. Statt eines Verfahrens gegen einen Schergen des Saddam-Regimes sorgt ein Prozess gegen einen kleinen amerikanischen Soldaten für Furor. Auf der Anklagebank sitzt der Obergefreite Jeremy Sivits, 24, aus einem Kaff bei Pittsburgh, Pennsylvania. Gegen ihn wird heute vor einem amerikanischen Militärgericht in Bagdad der Prozess eröffnet, drei seiner Mitangeklagten soll die Anklage verlesen werden.

Sivits ist einer von sieben Soldaten der 372. Kompanie der Militärpolizei, die wegen der Misshandlung von irakischen Gefangenen im Gefängnis Abu Ghraib angeklagt sind. Er soll das berüchtigte Foto von den zu einer Pyramide gestapelten nackten Männern gemacht haben. Zudem wirft ihm die Anklage Verschwörung und Mitwisserschaft bei der Misshandlung von Untergebenen vor.

Der Medienandrang in Bagdad ist enorm. Waren die Sprecher der amerikanischen Militär- und Zivilverwaltung äußerst einsilbig, wenn es um die Missstände in Abu Ghraib ging, weht im Zusammenhang mit dem Verfahren plötzlich ein anderer Wind. Offenheit statt Verschwiegenheit ist angesagt. Seit Tagen werden Medienvertreter mit Hintergründen des Prozesses eingedeckt. Gestern durfte man den zum Gerichtssaal umfunktionierten Raum auf dem Gelände der Koalitionsverwaltung besichtigen.

Für das amerikanische Militär steht bei dem Verfahren viel auf dem Spiel. Man will sich von dem Makel reinwaschen, dass die Misshandlung von Gefangenen zum Alltag der Besetzung im Irak gehört. Obwohl die Peiniger sicher nur eine kleine Gruppe unter den mehr als 130.000 im Irak stationierten US-Soldaten ausmachen, hat spätestens der Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz deutlich gemacht, dass das Recht der irakischen Gefangenen auf körperliche und seelische Unversehrtheit in einem Maß verletzt wurde, die an Systematik, in Einzelfällen sogar an Folter grenzt.

Mit dem Verfahren gegen Sivits will Amerika sein anderes Gesicht zeigen: das von Recht und Gerechtigkeit. Und zwar in aller Öffentlichkeit. Für ähnliche Aufmerksamkeit sorgte ein Militärverfahren zuletzt 1971 während des Vietnamkriegs. Damals wurde Leutnant William wegen seiner Beteiligung am Massaker von My Lai zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Nach einer Intervention von Präsident Richard Nixon kam er nach dreijährigem Hausarrest frei.

In Bagdad rechnet man damit, dass Sivits, wenn überhaupt, mit einer milden Strafe davonkommt (siehe Kasten). Denn Sivits, der sich schon als 16-Jähriger zum Militärdienst meldete, wird sich schuldig bekennen, heißt es. Zudem hat er dem Schweigen und der Kumpanei unter den Soldaten ein Ende bereitet und sich den Ermittlern als Kronzeuge zur Verfügung gestellt. Aus Sorge um seine Sicherheit habe man ihn mittlerweile von den anderen fünf auf dem Flughafen festgehalten Soldaten getrennt, heißt es in Bagdad.

Über den Anwalt eines Mitangeklagten sind inzwischen Details aus seiner Aussage an die Öffentlichkeit gelangt. Das Verhalten, das er darin schildert, erinnert eher an das einer wild gewordenen Soldateska als an das von Soldaten der Armee eines demokratischen Landes. Die Soldaten hätten eine Gruppe neu eingelieferter Gefangener aus ihren Zellen gezerrt und über den Flur geschleift. Dann sei einer seiner Kameraden auf die am Boden liegenden Häftlinge gestürzt. Später seien die sieben Männer gezwungen worden, sich nackt auszuziehen und zu masturbieren. Einer der Soldaten habe die Häftlinge mit der Faust so fest geschlagen, dass sie fast das Bewusstsein verloren. Daneben standen er und seine Kameraden, schauten zu und machten Witze. Schließlich seien die Männer gezwungen worden, sich zu einer Pyramide aufeinander zu legen. „Dieses Foto habe ich gemacht“, soll Sivits gesagt haben. Laut Anklage geschah dies um den 8. November herum. Heute bereut der gelernte Automechaniker, dass er nicht schon damals den Mund aufmachte.

Den ehemaligen Häftling Nasir Chalaf Abbas rührt das alles nicht. Zwar wünscht er dem Angeklagten einen fairen Prozess, zugleich aber nennt er das Verfahren absurd. „Was man uns angetan hat, war nicht die Sache eines einzelnen Soldaten“, sagt der 42-Jährige. „In meinem Fall wussten die Chefs ganz genau Bescheid.“ Abbas wurde am 20. Januar nach Abu Ghraib gebracht, damals waren gerade die Ermittlungen gegen die sieben Soldaten angelaufen. Die Haftbedingungen seien zwar nicht gut, aber einigermaßen akzeptabel gewesen.

Viel schlimmer waren die Zustände in dem Gefangenenlager bei Hit im Westen von Bagdad. Dorthin hatte man ihn nach seiner Festnahme am 20. Dezember transportiert. Die Peinigung begann dort immer schon vor dem eigentlichen Verhör, indem er am Schlafen gehindert wurde. „Wenn ich beim Verhör nicht mitmachte, fingen sie zu prügeln an“, sagt Abbas. „Überall hin – auf den Kopf, den Bauch, den Rücken.“ Einige Male sei er nackt und mit gespreizten Armen und Beinen an ein Gitter gekettet worden. Doch damit nicht genug. Während ihm einer der Verhörspezialisten Fragen stellte, habe ihm ein anderer mit einer kleinen Zange am ganzen Körper in die Haut gezwickt und sie nach oben gezogen. „Sehen sie selbst“, sagt er und zieht seine Schuhe und Socken aus. Auf dem linken Fuß sind Vernarbungen zu sehen, der Rist ist unnatürlich gekrümmt. Wer ihn verhörte, hat er nicht erfahren, und natürlich auch nie eine Anklageschrift gesehen. „Sie haben oft Masken getragen, sodass man nur ihre Augen sehen konnte“, fährt er fort.

Wie viele Gefangene in Abu Ghraib stammt auch Abbas aus dem Westen des Irak, wo die sunnitischen Untergrundkämpfer besonders stark sind. „Sie haben uns wie Hunde behandelt“, sagt Abbas. Dafür fordert er einen juristischen und materiellen Ausgleich. Über einen Anwalt will er Antrag auf Entschädigung stellen.

Der Prozess gegen Sivits mag Balsam auf die Wunden der vielen im Irak stationierten Soldaten sein, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen. Dass er aber mehr als eine Show ist, werden die Amerikaner noch beweisen müssen.