Essen für Kulturhauptstadt

Zwei Tage lang bereisten fünf Juroren zusammen mit Kulturminister Michael Vesper im Bus das Bundesland. Und am Ende setzte sich überraschend die Essener Bewerbung für das Ruhrgebiet durch

VON CHRISTOPH SCHURIAN

Auch wenn die Vorgeschichte mühsam war, schließlich konnte sich Essen mitsamt Ruhrgebiet durchsetzen. Industriekultur als Alleinstellungsmerkmal, Klang und Ereignisräume auf Zollverein und die der Jahrhunderthalle, dazu hochwertige Spielstätten in Essen und die Unterstützung der Industriekapitäne wie dem RAG-Chef Werner Müller dürften den Ausschlag gegeben haben: „Wir haben vor allem untersucht, wer die meisten Chancen hat. Deshalb gab es eine 5:0-Entscheidung der Jury: Die nordrhein-westfälische Bewerberstadt ist Essen“, sagte Kulturminister Michael Vesper. „Das ist erst die halbe Miete. Wir wollen auch Europas Kulturhauptstadt werden“, dämpfte Essens Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger (CDU) allzu hohe Erwartungen.

Schon am Vortag hatte sich das Ruhrgebiet große Hoffnungen gemacht. In Leitartikeln, im WDR-Fernsehen und in Argumentationsleitfäden verknüpften Revierstrategen wie Essens Kulturdezernent Oliver Scheytt die Wirtschaftskrise im Revier geschickt mit den Hoffnungen, die von einem Zuschlag für die Ruhr-Region ausgehen würde: Am Rande des Ruhrgebiets schließen bis 2009 noch einmal drei Zechen, wäre es da nicht ein optimistisches Signal für das Ruhrgebiet als Kulturgebiet, wenn es für Nordrhein-Westfalen an den Start gehen würde? Auch das dürfte Kulturminister Michael Vespers und seine Jury für den Ruhrpott eingenommen haben.

Im Vorfeld hatten sich der Architekt Peter Conradi, der Dresdner Intendant Holk Freytag, die Hamburger Kunsthochschulrektorin Adrienne Goehler, Klaus-Dieter Lehmann von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Wolfgang Lorenz, Intendant der Grazer Kulturhauptstadt, jeweils dreieinhalb Stunden in den drei Bewerberstädten aufgehalten. Den Anfang machte Bochum und Essen mit Jahrhunderthalle und Industriekulturerbe Zollverein. Am Nachmittag reiste die Delegation begleitet von zahlreichen Landespolitikern und Kommunalvertretern im schwarz abgedunkelten Bus nach Köln, und lauschte einem Hip-Hop-Musical auf der Domplatte. Gestern stand dann schließlich Münster auf dem Programm, das seine Bevölkerung dazu aufgerufen hatte, rote Kleidung zu tragen, um „Farbe zu bekennen“.

Farbe musste schließlich auch Vesper bekennen. Letztlich hätte der NRW-Kulturminister auch im Alleingang entscheiden können, awelche Landesstadt er an das Auswärtige Amt weiter gibt. Um sich abzusichern und beraten zu lassen, hatte er sich eine unabhängige Jury zur Seite gestellt, die auch hinter der Ministerentscheidung steht: „Essen und das Ruhrgebiet haben eine sehr punktgenaue Bewertung abgeliefert. Hier wird die Zukunft der Städte nicht verleugnet. Essen vollzieht eine Verwandlung, die auch für Europa neue Erkenntnisse bringt“, so Holk Freytag.

Doch die Nagelprobe für das Revier kommt noch. Im Herbst wird Vesper die Essen/Ruhr-Bewerbung an das Auswärtige Amt übergeben, das die Einzelbewerbungen dem Bundesrat zur Auswahl vorlegen wird. Und dort wird erst zweiten Quartal 2005 entschieden, ob das Ruhrgebiet samt Essen 2010 stolz den Titel Kulturhauptstadt Europas tragen darf.