Ende eines Schaustellerlebens

Ex-Spreepark-Betreiber Witte hat eine lange Karriere von Gesetzesübertretungen hinter sich. Die letzte – er schmuggelte 167 Kilo Kokain – machte ihn krank. Er muss jetzt sieben Jahre ins Gefängnis

„Es muss eine Lebensperspektive in Freiheit möglich sein“, erklärte die Richterin

VON KIRSTEN KÜPPERS

Es hätten 15 Jahre werden können. Norbert Witte hat nicht die Höchststrafe bekommen. Er muss jetzt 7 Jahre ins Gefängnis, und vielleicht lassen sie ihn sogar noch früher gehen. Sieben Jahre, das ist kürzer, als alle gedacht haben. Das ist nicht viel für 211 Päckchen Rauschgift, versteckt in einem Karussell. Das ist wenig für einen, der versucht hat in seinem „Fliegenden Teppich“ 167 Kilogramm Kokain von Peru nach Deutschland zu schmuggeln (die taz berichtete). Aber vielleicht steckt in den sieben Jahren auch ein Stück Wahrheit. Die Feststellung des Berliner Landgerichts, dass der 49-jährige Norbert Witte keinesfalls ein so professioneller Krimineller ist, wie er selbst bisweilen geglaubt hat. Die Gewissheit, dass der blasse Mann vorne auf der Anklagebank längst zu schwach ist für jede weitere Form der illegalen Beschäftigung.

Dabei kennt Norbert Witte alle Etagen des Geschäfts. Die Sache mit dem Kokain schloss eine lange Karriere von Gesetzesübertretungen ab, die mit kleineren Verkehrsdelikten, Urkundenfälschungen und fahrlässigen Körperverletzungen begonnen hatte, die mit Versicherungsbetrügereien und Brandstiftungsversuchen ihren Lauf nahm, und an deren Ende nun ein Berg Schulden und ein zertrümmertes Schaustellerleben liegen.

Die Vergehen auf dem Weg waren zahlreich. Im Jahr 1982 wurde Norbert Witte wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Auf der Hamburger Kirmes war Witte mit einem Kran beim Reparieren seines Karussells in ein benachbartes Fahrgeschäft gefallen. Bei vollem Betrieb. Sieben Menschen starben. Hinterher stellte sich heraus, dass Wittes Kran weder angemeldet noch versichert gewesen war.

Als Norbert Witte das Berliner Vergnügungsgelände „Spreepark“ übernahm, ergaben sich andere Probleme. Der Park machte Verluste. Witte stritt sich mit dem Land Berlin um Parkplätze und Baugenehmigungen; die Leasinggebühren für die Achterbahnen und Karussells an die Leasingfirma zahlte er nicht. Im Herbst 2001 drohte die Pleite des Vergnügungsparks. Witte floh mit seiner Familie nach Peru. Sechs Fahrgeschäfte, darunter der „Fliegende Teppich“ und eine Geisterbahn, nahm er mit. In Berlin hatten sich Schulden von mehr als 13 Millionen Euro angehäuft. Ein Verfahren wegen Konkursverschleppung läuft noch heute.

In Peru wollte Norbert Witte neu anfangen. Es lief nicht so wie geplant. Auf einmal bekam Witte in Lima ein Geschäft angeboten. Im hohlen Stahlmast des „Fliegenden Teppichs“ könnte man Kokain schmuggeln, so die Idee. In Peru gibt es Rauschgift von bester Qualität. In Deutschland sollte das Kilo für 25.000 Euro verkauft werden. Witte sollte 700.000 Dollar für den Schmuggel erhalten. Er willigte ein.

Aber Witte ist Schausteller von Beruf. Er hatte nicht das Zeug zum Drogenschmuggler. Seine Nerven und sein Herz machten nicht mit. Er wurde immer nervöser, das Herz flatterte, Witte erlitt mehrere leichte und schwere Schlaganfälle. Der Gesundheitszustand verschlechterte sich, je näher das Datum für den Transport nach Deutschland rückte. Irgendwann erzählte Witte seinem Sohn Marcel von dem Kokain. Er hat seinen Sohn in die Sache mit reingezogen.

Als das Versteck im „Fliegenden Teppich“ dann aufflog, weil sich unter Wittes Komplizen ein verdeckter Ermittler der peruanischen Drogenfahndung befunden hatte, war Norbert Witte längst ein schwer kranker Mann. Bei der Razzia im Hafen von Lima am 5. November vergangenen Jahres wurden sechs Männer festgenommen, darunter auch Wittes 23-jähriger Sohn Marcel, der bis heute in einem peruanischen Gefängnis auf seine Gerichtsverhandlung wartet.

Witte selbst wurde einen Tag später in Berlin geschnappt. Die Zeit der Untersuchungshaft verbrachte er geschwächt und schwer atmend in einem Bett im Haftkrankenhaus. Die Ärzte sagen, dass er nicht mehr viele Jahre zu leben hat.

Vor allem aus diesem Grund hat das Gericht keine höhere Strafe verhängt. „Es muss eine Lebensperspektive in Freiheit möglich sein“, erklärte die Richterin. Das Urteil wurde am Mittwoch verkündet. Hinterher stand der Angeklagte auf, trippelte nach vorne, verabschiedete sich leise von der Richterin. Sein Anwalt erklärte später auf dem Gerichtsflur. „Ja, eigentlich ist Herr Witte ein freundlicher Mensch.“