„Politik darf nicht kapitulieren“

Bausenatorin Junge-Reyer, lange Staatssekretärin Strieders, macht nun dessen Job. Ob Topographie oder Abriss Ost, sie kämpft auf den gleichen Baustellen mit ähnlichen Problemen – aber ganz anders

INTERVIEW ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Frau Junge-Reyer, erst im April hat Ihr Vorgänger einen Vorschlag zur Umgestaltung des Kulturforums vorgelegt. Kaum im Amt, stürzen Sie sich ebenfalls auf das Thema. Warum?

Ingeborg Junge-Reyer: Der Senat hat einen Beschluss gefasst, der in erster Linie die öffentliche Diskussion über das Kulturforum in Gang setzen soll. Im Fokus stehen der zukünftige Umgang mit der „Piazetta“ und die Frage der Gestaltung rund um die Matthäi-Kirche. Mir liegt daran, durch ein Fachpublikum, aber auch durch andere Interessierte, die Vorstellungen zur Entwicklung dieses Ortes haben, diese Debatte breit anzustoßen.

Für das Kulturforum hat es in den vergangenen Jahren sicher ein Dutzend Ideen, Wettbewerbe und Entwürfe gegeben.

Es geht mir nicht um die rückwärts gewandte Betrachtung von Planungen – obwohl das wichtige historische Grundlagen sind –, sondern um eine andere Aneignung des Ortes. Wir müssen das Kulturforum neu begreifen lernen, und das nicht nur aus der Perspektive der Planer, sondern aus dem Blickwinkel seiner zukünftigen Besucher.

Worin besteht aus Ihrer Sicht das städtebauliche Problem des Kulturforums?

Wir haben es mit einem weiten Raum zu tun, der nicht ausreichend gefüllt und genutzt ist. Schauen Sie sich das Kulturforum doch einmal an: Teile des Freiraums werden als Parkplatz genutzt, wir haben dort regelrecht unwirtliche Situationen. Oder nehmen wir die schräg ansteigende Piazetta, die ein belebter öffentlicher Raum und Ziel von Menschen sein sollte, diese Funktion aber nicht erfüllt. Die hohe Attraktivität der kulturellen Angebote steht in einem Missverhältnis zur Attraktivität des Ortes.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz überlegt auch aus diesem Grunde, die „abgehängte“ Gemäldegalerie von dort nach Mitte umzuquartieren.

Man muss sich fragen: Warum wirkt die Gemäldegalerie denn so abgehängt? Warum findet man sie so schwer? Warum hat die Stiftung damit ein Problem? Die Gemäldegalerie, so wie sie heute platziert ist, verschwindet geradezu. Ich denke, dass der Rückbau der Piazetta schon viel an baulicher Qualität schafft. So kann die Gemäldegalerie wieder als Teil des Kulturforums und eines urbanen Raumes empfunden werden.

Ein anderer Unort im doppelten Wortsinn ist die Baustelle „Topographie des Terrors“. Was halten Sie davon, wenn der Bund Berlin von dieser umstrittenen Bauruine befreit und die Kosten und den Weiterbau in Eigenregie übernimmt?

Es geht bei der Frage „Wer baut die Topographie?“ nicht um Eitelkeiten einer möglichen Bauherrenschaft. Klar ist, wir sind diesem Ort so hoch verpflichtet, dass wir ihm gerecht werden und ihn angemessen gestalten müssen …

wovon seit Jahren aber wenig zu sehen ist.

Es gab die Schwierigkeiten mit bautechnischen Fragen im Zusammenhang mit der ungewöhnlichen Architektur, den Kosten und den Insolvenzen von Baufirmen. Wir haben den Entwurf des Architekten Zumthor in den vergangenen Wochen – mit hoher Priorität – daraufhin geprüft, ob er sich technisch verwirklichen lässt. Nun prüft der Bund diese Machbarkeitsstudie. Gleichzeitig sind wir dabei, die Kostensicherheit zu klären. Beides muss zusammengefügt und dann gemeinsam mit dem Bund entschieden werden, ob der Zumthor-Entwurf machbar ist und im Rahmen der Kosten realisiert werden kann. Wenn dem so ist, haben wir die Verpflichtung, den Bau so zügig wie möglich zu Ende zu bringen.

Zu welcher Bewertung sind Sie und Ihre Verwaltung bei der Erstellung der Machbarkeitsstudie über Zumthors Planung gekommen?

Wir denken, dass sie realisierbar ist.

Gefällt Ihnen der Entwurf?

Ich glaube, dass er für diesen Ort richtig ist. Daher teile ich die vor Jahren getroffene Entscheidung, Zumthor bauen zu wollen. Allerdings bin ich auch der Meinung, dass der Architekt und alle Beteiligten eine hohe Verantwortung haben, die zur Verfügung stehenden Kosten einzuhalten. Zumthor um jeden Preis wird es mit mir nicht geben.

Die rund 38 Millionen Euro Baukosten sind also mit dem Architekten nicht verhandelbar.

38,9 Millionen Euro bleiben die Obergrenze.

Haben Sie schon Peter Zumthor getroffen?

Nein, aber das werde ich tun, sobald ich die Bewertung des Bundes habe.

Es gibt Stimmen in der Stiftung Topographie des Terrors, die entnervt nach zehn Jahren Gezänk wieder für ein unbebautes Gestapo-Gelände plädieren. Sollte keine Einigung mit dem Bund erzielt werden, wäre dies für Sie auch denkbar?

So wie der Ort ist, kann er nicht bleiben. Wir brauchen die Möglichkeit, sich mit dem Ort der Täter auseinander zu setzen und erinnern zu können. Unser Bestreben – und ich meine auch das der Stiftung – kann nicht sein, eine Ruinensituation zu belassen.

Das Schlagwort von der „Shrinking City“ hat Berlin erfasst. Die Stadt schrumpft, besonders in den östlichen Plattenbauvierteln. Dort sollen 5.000 Wohnungen abgerissen werden. Stehen Sie hinter der Abriss-Strategie?

Die Strategie, die der Senat behutsam betreibt, ist richtig. Abriss kann auch Aufwertung sein. Wenn Wohnungen und ganze Häuser nicht mehr nachgefragt werden, wenn Leerstand in großem Maße auftritt, müssen wir uns mit der städtebaulichen Zukunft, und insbesondere mit dem Lebensgefühl der Menschen dort auseinander setzen. Es wäre fatal, Menschen mit einem dauerhaft negativen Wohnumfeld zu konfrontieren. Wenn in einem Haus zunehmend Mieter wegziehen, der Eingang verwahrlost ist, Fensterscheiben zerstört werden und sich die Nachbarn fühlen müssen wie an einem Ort, der verlassen wird, muss etwas getan werden. Darum brauchen wir den Abriss und gleichzeitig eine dauerhafte Perspektive für diese Stadtteile.

Wie sieht die aus?

Mit den Bewohnern vor Ort, dem Bezirk, Fachleuten und allen, die an der Entwicklung ihrer Nachbarschaft interessiert sind, besprechen wir konkret die Situation vor Ort. Es muss ein grundsätzliches Leitbild für „Großstädte am Rande Berlins“ entstehen, das Leitbild einer Großstadt im Grünen.

Klingt das nicht zu euphemistisch, angesichts der Architektur und des Städtebaus dort und einer gleichzeitigen dynamischen Leerstandsentwicklung in den Plattenbauten? Andere Städte kapitulieren und reißen komplett ab.

Politik darf vor solchen Prozessen nicht kapitulieren. Dort, wo mehr Bewohner wegziehen, als wir vor Jahren noch erwartet hatten, müssen wir jetzt planerisch und mit einem Konzept reagieren. Das eine Instrument ist der Abriss, das andere ist, eine Vorstellung zu entwickeln, was danach entstehen soll und diese Orte attraktiv macht zum Leben und Wohnen. Die Diskussion über den Stadtumbau steckt noch in den Anfängen, darum müssen wir uns umso stärker mit dem zukünftigen Leitbild auseinander setzen. Ein Aufgeben der Quartiere kommt nicht in Frage, es gibt viele Berlinerinnen und Berliner, die dort auch in Zukunft wohnen möchten.

Es ist außergewöhnlich, dass eine Frau das Amt einer Bauministerin, oder wie in Berlin, einer Bausenatorin innehat. Damit zieht das Weibliche in eine Männerdomäne ein. Glauben Sie, dass diese Strukturen Sie selbst verändern?

Wissen Sie, was „Gender Mainstreaming“ ist?

Natürlich, aber ich habe genug Frauen gesehen, die sich nicht anders verhalten als die Männer vom Bau.

Ich persönlich habe mir diese Frage noch nie gestellt. Ich bin Strukturen gewohnt, in denen ich die einzige Frau war. Dass ich anders bin als meine Vorgänger, ist doch selbstverständlich. Ein Amt verändert einen Menschen, aber ein Mensch verändert auch das Amt. In meiner Rolle bekommt frau über die unmittelbare persönliche Wirkung kaum Rückmeldungen. Ich freue mich jedes Mal über ein solches – seltenes – Feedback.