zwischen den rillen
: Nie genug Weltschmerz

Den Zusammenhang von Fleischkonsum, Allmachtsfantasien und Übergewicht besingen

Da ist er wieder. Nach siebenjähriger Abwesenheit reitet Saint Morrissey auf seinem Esel zurück in die Stadt, während die Gläubigen sich mit ergebener Inbrunst dankbar zu seinen Füßen werfen oder ihm mit Palmwedeln kühle Luft zu fächeln. Ob er schon nächste Woche gekreuzigt wird, bleibt abzuwarten, doch noch scheinen Morrissey und sein neues, siebentes Album „You Are The Quarry“, alle Erwartungen zu erfüllen.

Der Zeitpunkt der Rückkehr ist perfekt gewählt. In den USA hat sich der ehemalige Smiths-Sänger trotz der langen Pause zu einem veritablen Star entwickelt, der vor allem unter mexikanischen Einwanderern und Latino-Gangs eine treue Fangemeinde hat, die von seinem verregneten, nordenglischen Weltschmerz seltsamerweise nicht genug bekommen kann. In England hat man ihm unterdessen die Provokationen der Vergangenheit verziehen.

Nachdem er sich 1992 anlässlich des Madstock-Festivals den ebenso homophilen wie homophoben Scherz erlaubt hatte, mit einem hautengen, gold schimmernden Hemd am Leib und einem Union Jack in der Hand vor einer Horde von Skinheads den Gassenhauer „The National Front Disco“ anzustimmen, schien das Verhältnis zwischen Presse und Morrissey für immer zerstört. Doch statt ihn weiterhin als Rechtsradikalen zu identifizieren, lobt man nun in höchsten Tönen sein musikalisches Werk. Erst kürte das inzwischen nicht mehr existente Musikmagazin Melody Maker das Smiths-Album „The Queen Is Dead“ zum „besten Rockalbum aller Zeiten“, dann wählten die Leser des New Musical Express die Smiths zur „wichtigsten Band“ überhaupt.

Tatsächlich scheint der Einfluss der Smiths derzeit so stark wie seit ihrer Trennung 1987 nicht mehr. Nicht nur Coldplay und Radiohead bedienen sich kräftig bei ihnen, auch Franz Ferdinand und The Libertines haben ihre Lieder mit größter Sorgfalt studiert. So musste Morrissey eigentlich nur dort weitermachen, wo er 1997 mit „Maladjusted“ aufgehört hatte. Weil er ohnehin nicht anders kann, hat er das dann auch getan. Denn seit seinem Solodebüt „Viva Hate“ (1988) klingen seine Alben relativ gleich. Nur in den Feinheiten unterscheiden sie sich: „Your Arsenal“ (1992) war etwas lauter, „Vauxhall and I“ (1994) etwas freundlicher und „Southpaw Grammar“ (1995) etwas ausufernder.

So liefert „You Are The Quarry“ die gewohnte Mischung aus Weltschmerz, Rebellion, feinen Beobachtungen, flotten Widersprüchen und klugen Provokationen auf der Basis von weitgehend unspektakulärem Gitarrenpop. Es gibt schöne Songtitel wie „I Have Forgiven Jesus“ oder „How Can Anybody Know How I Possibly Feel“. In „America Is Not The World“ erklärt er den Zusammenhang von Fleischkonsum, Allmachtsfantasien und Übergewicht und singt dann die wunderbaren Zeilen: „America / it brought you the hamburger / well America / you know where you can shove your hamburger / and don’t you wonder / why in Estonia they say: Hey you, you big fat pig! / … I love you“. In „Irish Blood, English Heart“ verdammt er im Vorbeigehen alles, was Engländern heilig ist, um in „Come Back To Camden“ wiederum alles, was Engländern sonst noch heilig ist, heilig zu sprechen. So ist er halt. Und folglich ist „You Are The Quarry“ dann auch nicht Morrisseys Rückkehr zu großer, neuer Form, sondern einfach eine Rückkehr, die dieses Mal etwas länger auf sich warten ließ. HARALD PETERS

Morrissey „You Are The Quarry“ (Attack Records/Sanctuary)