„Die Palästinenser haben als Waffe nur das Selbstmordattentat“, sagt Chaled Maschaal

Der politische Hamas-Führer über Israel, zivile Opfer im Krieg und was Hamas von al-Qaida unterscheidet

taz: Herr Maschaal, Sie sind der poltische Führer von Hamas und leben in Syrien. Wissen Sie, wann Selbstmordattentate ausgeführt werden?

Chaled Maschaal: Militärische Aktionen werden von der militärischen Führung geplant, und die sitzt in Palästina. Wir mischen uns von außen nicht ein. Wir kümmern uns nur um politische Angelegenheiten.

Das heißt, Sie wissen von den Attentaten vorher nichts?

Nein, ich werde von den Anschlägen überrascht wie jeder andere auch. Natürlich rechne ich damit, weil die Attentate Teil unserer Politik sind. Aber wann sie stattfinden, weiß ich nicht.

Werden sich Attentate künftig auch gegen die Vereinigten Staaten richten?

Die US-Regierung ist kriminell und sie ist in vielerlei Hinsicht an den israelischen Verbrechen beteiligt. Militärisch, finanziell und politisch, indem sie UNO-Resolutionen mit ihrem Veto blockiert. Trotzdem richtet sich unser Kampf nicht gegen die USA. Wir kämpfen nur gegen die israelische Besatzung.

Mit israelischer Besatzung meinen Sie alle Gebiete des historischen Palästina, auch das heutige Israel. Wenn Sie dort einen palästinensischen Staat errichten wollen – was passiert dann mit den Israelis? Wollen sie die alle ins Meer treiben?

Nein, wir wollen niemanden vertreiben, auch nicht die Israelis. Aber wir wollen unser Land zurück und unsere Rechte.

Wie stellen Sie sich das vor? Würden Hamas-Anhänger Seite an Seite mit Juden leben?

Wenn die Besatzung vorbei ist und mit ihr der Staat, der sich auf diese Besatzung gründet, und wenn Palästina als ein arabisch-islamisches Land anerkannt ist, haben wir kein Problem damit, dass Juden, Christen und Muslime dort leben. Das ist in der arabischen Welt völlig normal. Hier ist es den Minderheiten immer gut ergangen. Die Juden haben in Europa gelitten, nicht bei uns.

Warum wollen Sie Palästina zu einem islamischen Staat machen? Warum muss es ein religiöser Staat sein?

Niemand hat gesagt, dass Palästina unbedingt ein religiöser Staat werden muss. Wir brauchen einen freien palästinensischen Staat, in dem die Leute durch Mehrheitsentscheidung bestimmen. So wie die Völker in Europa über ihre Regierungen bestimmen. Wenn die Europäer an die Demokratie glauben, sollen sie die Palästinenser selbst entscheiden lassen.

Und wenn die Palästinenser keinen islamischen, sondern einen säkularen Staat wollen?

Wir zwingen niemanden. Was immer die Mehrheit entscheidet, werden wir respektieren. In Palästina oder sonstwo. Wir selbst halten uns innerhalb der Hamas an demokratische Grundsätze.

Hamas versteht sich wie al-Qaida als islamische Bewegung …

Nein, das ist etwas anderes. Al-Qaida denkt global. Sie betrachten die USA als Großmacht, die weltweit Ungerechtigkeit ausübt. Wir haben mit al-Qaida nichts zu tun. Wir sind eine Bewegung innerhalb Palästinas, die gegen die Besatzung kämpft – nicht gegen die ganze Welt. Der globale Kampf der al-Qaida geht uns nichts an. Al-Qaida ist eine islamische Bewegung, aber nicht alle islamischen Bewegungen sind gleich. Oder sind die christlichen Parteien in Europa alle gleich? Oder die sozialistischen?

Aber die Methoden sind die gleichen. Al-Qaida und Hamas töten unschuldige Zivilisten.

In jedem Krieg sterben Zivilisten. In Bagdad sind bei US-Luftangriffen irakische Kinder gestorben, aber weil die B-52-Bomber das Regime von Saddam Hussein treffen wollten, können die Menschen in Europa das verstehen. Da sagen sie, na ja, im Krieg sterben immer unschuldige Zivilisten. Und wir sagen, in unserer Auseinandersetzung mit den Israelis sterben auch Zivilisten, und nicht wir, sondern die Besatzer sind für diesen Kampf verantwortlich. Wenn sie wollen, dass der Krieg aufhört, muss die Besatzung aufhören, dann wird auch das Blutvergießen aufhören.

Im Gegensatz zu Selbstmordattentätern wollen B-52-Bomber keine Zivilisten töten.

Auf wen hatten es die Alliierten im Zweiten Weltkrieg abgesehen? Auf die deutsche Bevölkerung? Nein, sie wollten das Naziregime treffen und haben dafür deutsche Großstädte mit Bombenteppichen überzogen. Und damals gab es noch keine Lasertechnik. Wir töten Soldaten, weil sie uns töten, und bewaffnete Siedler, weil sie unser Land besetzen. Ursprünglich hatten wir es nicht auf Zivilisten abgesehen. Aber der Druck der Israelis hat uns gezwungen, den Kreis der Opfer auszuweiten. Wir kämpfen gegen ein Regime, das uns mit aller Waffengewalt unterdrückt, das unsere Kinder tötet und uns jede Lebensgrundlage raubt. Was erwarten sie von den Palästinensern? Sie verteidigen sich und sie haben keine andere Waffe, als sich selbst in die Luft zu sprengen.

Herr Maschaal, Sie stehen auf der Liste möglicher israelischer Anschlagsziele inzwischen an erster Stelle. Wie leben Sie mit dieser Bedrohung?

Natürlich muss ich aufpassen. Aber das ist normal. Wir haben keine Angst. Angst haben nur Unterdrücker und Diebe. Wer in seinem eigenen Haus sitzt, fühlt sich sicher, nur wer in fremden Häusern wohnt, muss sich fürchten. Die Israelis haben Angst, weil sie auf dem Land anderer Leute leben. Scharon versucht, uns einzuschüchtern, damit wir innerlich zerbrechen. Aber Drohungen beeindrucken uns nicht.

INTERVIEW: FATIMA AL SHAHABI
UND KRISTIN HELBERG