FOLTERNDE SOLDATEN: DAS URTEIL DER US-ARMEE ÜBERZEUGT IRAKER NICHT
: Verständliche Skepsis in Bagdad

Ohne die Uniformen wäre fast alles wie in einem normalen Prozess gewesen. Verteidigung und Anklage arbeiteten routiniert, es wurden Beweismittel vorgelegt, Zeugen vernommen, der Angeklagte wurde befragt. Mit dem Prozess gegen den Stabsgefreiten Jeremy C. Sivits hat die amerikanische Militärführung im Irak bewiesen, dass es in der Armee eines demokratischen Landes fest verankerte Institutionen und Regeln gibt, die auch in Extremsituationen gelten und beachtet werden. Für jeden, der sich im Militärrecht nicht auskennt, war das Verfahren auch eine Lehrstunde. Zudem weiß die Öffentlichkeit jetzt, dass die US-Armee sich weiterhin zur Beachtung der Genfer Konventionen verpflichtet fühlt.

In Bagdad aber hat man mit Skepsis reagiert, sowohl auf das Verfahren selbst als auch auf das Urteil. Das Strafmaß empfinden viele als viel zu niedrig. Und dass die Entlassung aus der Armee für einen Amerikaner eine Tragödie ist, ist den meisten hier fremd. Es wird kaum als Strafe wahrgenommen, mussten irakische Männer doch die besten Jahre ihres Lebens für einen jahrelangen Militärdienst opfern. Nicht wenige haben für Sivits die Todesstrafe gefordert. Das zeigt, wie weit der Weg zu einem rechtsstaatlichen Empfinden im Zweistromland noch ist.

Man mag über den Wunsch nach der Todesstrafe pikiert die Stirn runzeln. Doch dass das Land in dieser Frage nicht viel weiter ist als vor einem Jahr liegt an dem Sumpf aus Gewalt, in den die Besetzer geraten sind. Rechtsbrüche waren nicht erst seit jenem 8. November, an dem Sivits mit seinen Kumpanen die Gefangenen in Abu Ghraib misshandelte, an der Tagesordnung.

Passiert ist lange nichts. Auf die zentrale Frage, ob die Misshandlungen und Folterungen in Abu Ghraib von höchster Stelle angeordnet waren, steht die Antwort weiterhin aus. Ob künftige Prozesse mehr Aufschluss bringen, bleibt abzuwarten. Bislang haben die Verantwortlichen in Washington vertuscht und gemauert, wo es nur ging. Ein leuchtendes Beispiel für die Demokratie ist Amerika hier nicht. Insofern ist die Skepsis der Iraker gegenüber dem westlichen Rechtsstaat verständlich.

INGA ROGG