Pure Lust am Krawall

Otto Schily und die Union wollen mit Hilfe des Kanzlers die „Sicherheitslücke“ bei der Zuwanderung schließen. Dumm nur: Sie reden über ein Problem, das es gar nicht gibt

Dem Staat wird nichts Neues erlaubt, sondern nur jede Milde im Einzelfall verboten

Das Zuwanderungsgesetz sollte nicht als Wahlkampfthema missbraucht werden. Das war einmal Konsens der Parteien. Doch das ist lange her. Nun haben wir das Super-Wahljahr und die CDU/CSU begründet ihre Blockade des rot-grünen Prestigeprojekts vor allem mit populistischen „Sicherheitsbedenken“. Nächste Woche will Kanzler Schröder mit den Vorsitzenden aller Bundestagsparteien über die von der Union aufgeworfenen Fragen sprechen.

Nur: Was so staatsmännisch klingt, ist auf allen Seiten kaum mehr als billige PR-Politik. Die Union versucht, die SPD als lasch zu brandmarken. SPD-Minister Schily profiliert sich auf Kosten der Grünen. Und die Linken bei SPD und Grünen verteidigen Rechtsgrundsätze, die es noch nie gegeben hat. Ein Spektakel ohne Substanz, symbolische Politik der destruktiven Art.

Zunächst ist festzuhalten: Es gibt im deutschen Ausländerrecht keine „Sicherheitslücke“. Schon heute kann ein Ausländer in allen relevanten Fällen ausgewiesen werden: 1.) wenn er gegen Gesetze verstoßen hat, 2.) wenn er eine Gefahr für die Sicherheit darstellt, 3.) wenn er eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist – und 4.) wenn er Kontakt zu terroristischen Kreisen und ihren Unterstützern hat. Die Liste der Ausweisungsgründe ist lückenlos. Problematisch ist allenfalls der Glaube, ein gefährlicher Islamist sei weniger gefährlich, wenn er vom Ausland aus agiert. Schließlich wohnt auch Ussama Bin Laden bekanntlich nicht in Deutschland.

Jüngst haben sich Regierung und Opposition darauf geeinigt, dass Ausweisungen aufgrund einer „tatsachengestützten Gefahrenprognose“ möglich sein sollen. Doch das ist nichts Neues. Das Ausländerrecht diente schon immer der Gefahrenabwehr und war früher sogar Teil des Polizeirechts. Bei der Neuregelung geht es jetzt allenfalls um eine Klarstellung und Präzisierung.

Da es also schon immer möglich war, dass Ausländer ohne strafrechtliche Verurteilung ausgewiesen werden, ist dies auch kein „Tabubruch“, wie Teile von Rot-Grün befürchten. Der Satz „Im Zweifel für den Angeklagten“ gilt eben nur bei der Bestrafung von bereits begangenen Straftaten, nicht bei der Abwehr von zukünftigen Gefahren. Wenn noch etwas zu retten ist, muss man nicht warten, bis es zu spät ist. Das ist die generelle Maxime bei der Gefahrenabwehr – gegen Atommeiler, Kampfhunde und eben auch gegen drohende Terroranschläge.

Dennoch gelten natürlich auch weiterhin die verfassungsrechtlichen Grenzen, etwa das Willkürverbot. Weitere Verschärfungen sind bei Ausweisungen kaum möglich, weil die grundgesetzlichen Spielräume vom bisherigen Recht schon weitgehend ausgereizt werden. Eine Ausweisung aufgrund von bloßen Vermutungen und Gerüchten soll und kann es auch künftig nicht geben. Welche „Tatsachen“ rechtlich gesehen als Gefahr einzustufen sind und damit eine Ausweisung rechtfertigen, müssen weiter die Gerichte entscheiden. Ob der Besuch eines Al-Qaida-Lagers oder der Download von Bombenanleitungen genügt, kann nur im Einzelfall geklärt werden.

Dabei ist nicht vorgesehen, dass künftig bloße Geheimdiensterkenntnisse für eine Ausweisung genügen. Die von der Ausländerbehörde angeführten Tatsachen müssen auch weiterhin bewiesen werden. Und wenn künftig über die Abschiebung von Ausländern mit „terroristischer Verwicklung“ sofort das Bundesverwaltungsgericht befindet, dann könnte das sogar positiv sein. Immerhin haben die Leipziger Richter letztes Jahr Otto Schily eine empfindliche Niederlage zugefügt. Im Juli erlaubten sie dem vom Bundesinnenminister verbotenen Aachener Spendensammelverein Al Aqsa vorerst die Weiterarbeit, weil sie Geheimdienstauskünfte ohne Vorlage der Akten nicht akzeptierten.

Soweit zwischen Regierung und Opposition jetzt noch über Ausweisungen gestritten wird, geht es – und das haben leider viele Medien bislang falsch dargestellt – gar nicht um neue Ausweisungsmöglichkeiten. Verhandelt wird vielmehr über die Einführung zusätzlicher „zwingender“ Ausweisungsgründe. So verlangt die Union unter anderem die konsequente Ausweisung bei Strafurteilen mit mindestens einem Jahr Haft – statt bisher drei Jahren. Konkret heißt das: Wenn bisher die Ausweisung möglich war, soll sie künftig unausweichlich sein. Dem Staat wird also nichts Neues erlaubt, sondern nur jede Milde im Einzelfall verboten. Wer darin einen Gewinn an Sicherheit sieht, erklärt unsere Behörden und Gerichte zu Sicherheitsrisiken.

Negative Folgen hätte eine derartige Verschärfung weniger für Terrorsympathisanten, sondern vor allem für Jugendliche und Heranwachsende aus Einwandererfamilien. Wenn ein hier aufgewachsener junger Araber in ein Land geschickt wird, das er überhaupt nicht kennt, nur weil er wegen Drogenhandels zu einjähriger Haft verurteilt wurde, dann ist dies nicht nur unangemessen, sondern verunsichert zudem sein gesamtes, möglicherweise hervorragend integriertes Umfeld.

Eine Ausweisung aufgrund von bloßen Vermutungen soll und kann es auch künftig nicht geben

Zweiter großer Streitpunkt in den aktuellen Zuwanderungsgesprächen ist die Präventivhaft für vermeintlich gefährliche Ausländer, die aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden können, etwa weil ihnen im Heimatland Folter oder Todesstrafe droht. Wie weit hergeholt diese Idee ist, sieht man schon daran, dass sie nicht einmal Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) eingefallen ist. Als Otto Schily die Präventivhaft-Pläne aufbrachte, warnte das bayerische Innenministerium sogar vor einem „unsachlichen Überbietungswettbewerb“.

Die Schimäre des gefährlichen Ausländers, der in Deutschland unbehindert Terrorattentate vorbereitet, ist völlig absurd. Gerade in Sachen Terror ist jede so genannte Vor- und Umfeldtätigkeit strafbar. So kann nach Paragraf 129 a Strafgesetzbuch jeder inhaftiert und verurteilt werden, der eine terroristische Vereinigung gründet oder unterstützt. Wenn die Polizei wirklich einen Haftgrund braucht, muss sie nicht lange suchen. Wenn also kein konkreter Haftgrund vorliegt, ist eine Präventivhaft offensichtlich unverhältnismäßig und verstößt damit nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Meldeauflagen und Kontaktverbote, wie sie Günther Beckstein ursprünglich vorgeschlagen hat, würden hier völlig genügen. Wenn die Union nun plötzlich Schilys Präventivhaft-Vorschlag hervorzieht, dann ist das pure Lust am Krawall.

Kurz gesagt: Mühsam müssen die Union und Innenminister Schily nun die Sicherheitslücken schließen, die sie zur eigenen Profilierung einst konstruiert haben. Wer aber unnötig Unsicherheit predigt, schürt nur Feindbilder und erzeugt damit eine Bunkermentalität. Die ständige Rede von gefährlichen Ausländern, vor denen „wir“ uns schützen müssen, vertieft nur die Spaltung zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft und ist damit gerade aus Sicht der Terrorprävention völlig kontraproduktiv. CHRISTIAN RATH