american pie
: Amerikaner sind auch bei der Tour ignorant

Who the fuck is Armstrong?

Eigentlich zählt Deutschland nicht unbedingt zu den Nationen in denen der Radsport tief in der Kultur verankert ist, wie etwa Frankreich, Belgien oder Italien. Und doch, als Jan Ullrich nach einjähriger Pause mit „Rund um Köln“ erstmals wieder ein – wenn auch drittklassiges – Rennen gewann, war das den Sportseiten der Tageszeitungen einen Aufmacher und den Fernsehnachrichten eine Meldung wert. Lance Armstrong gewann Mitte Juni die „Dauphine Libéré“, eines der klassischen und deshalb stark besetzten Vorbereitungsrennen für die Tour de France, und wies damit nach, dass er für den fünften Tour-Sieg in Folge bereit ist. Zwischen den NBA-Play-offs, Wimbledon und der laufenden Baseball-Saison würdigte die New York Times dieses Ereignis allerdings lediglich mit einem einspaltigen Foto und einer knappen Bildunterschrift.

Dabei war Armstrong im vergangenen Jahr in den USA sogar zum Sportler des Jahres gewählt worden. Eine nicht unumstrittene Wahl: Ein Zeitungskolumnist aus Kalifornien entfachte mit einem Kommentar eine leidenschaftliche Debatte, weil er Radsport nicht als „richtige Sportart“ anerkennen mochte. Richtig waren seiner Meinung nach – neben Baseball, Basketball, Football und Eishockey – gerade noch Nascar-Autorennen und bestenfalls noch Leichtathletik. Was strampelnde Männer in engen Kunstfaserhosen auf europäischen Landstraßen trieben, gehe echte Amerikaner hingegen überhaupt nichts an.

Sollte es Armstrong in diesem Jahr tatsächlich gelingen, zum fünften Mal in Folge die Tour de France zu gewinnen, gehört der Texaner unbestreitbar zu den größten Athleten, die dieser Sport je hervorgebracht hat; bislang hat das lediglich der Spanier Miguel Induráin geschafft. Bei der großen Mehrheit seiner amerikanischen Landsleute löst dies dennoch nicht viel mehr als ein Achselzucken aus. „Ich glaube nicht, dass die breite amerikanische Öffentlichkeit den sportlichen Wert wirklich versteht“, meint sogar Dan Osipow, Geschäftsführer von Tailwind Sports, der Betreiberfirma von Lance Armstrongs Mannschaft US Postal.

Auch Patsy Tully, PR-Managerin von Armstrongs Fahrradausrüster Trek, ist immer wieder erstaunt, welcher Unwissenheit über das europäische Renngeschehen sie in ihrem Alltag begegnet: „Selbst Fahrradhändler, die unsere Rennräder verkaufen, haben keine Vorstellung davon, was eigentlich die Tour de France ist. Wenn ich sie dann dorthin mitnehme und es ihnen zeige, kommen sie aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.“ Das Problem, so Tully, sei nicht, dass sich Amerikaner nicht prinzipiell für Radsport begeistern ließen, das Problem sei vielmehr, dass sie trotz der vier Tour-Siege Armstrongs in den Medien den Radsport nicht gezeigt bekommen.

Immerhin: Es ist besser geworden. Seit vergangenem Jahr zeigt der Privatsender Outdoor Life Network die Livebilder von Eurosport. 425.000 Amerikaner haben sich auf diesem Weg die Tour angeschaut; nicht gerade eine berauschende Einschaltquote in einem Land von 270 Millionen Einwohnern. Der Rest gibt sich mit einer Wochenzusammenfassung bei den großen Sendern ABC, NBC und CBS zufrieden. Für die Radsportfans in den USA ist der jetzige Zustand dennoch bereits paradiesisch: „Als Greg LeMond 1989 die Tour gewann, hat es Tage gedauert, bis wir irgendwoher einen Etappenbericht bekamen. Meistens haben wir Kurzwellenradio gehört“, erinnert sich Charles Pelkey, ehemaliger Rennfahrer und Redakteur der Fachzeitschrift VeloNews.

Jetzt, so Pelkey, seien immerhin alle großen Tageszeitungen mit eigenen Reportern bei der Tour vertreten. Und sogar einige Regionalzeitungen wie die Denver-Post aus dem Radsport-Zentrum Colorado oder der Austin-American Statesman aus Armstrongs Heimstadt Austin schicken eigene Berichterstatter nach Frankreich. „In den letzten Tagen der Tour, wenn sich der Sieg abzeichnet“, so Teammanager Dan Osipow, „rückt Armstrong mittlerweile sogar in den Mantelteil der Zeitungen vor.“ Und vielleicht, hofft Osipow, können die amerikanischen Fans wenigstens mit der Rekordzahl Fünf etwas anfangen, sollte Armstrong diese in diesem Jahr tatsächlich erreichen: „Amerikaner sind von Statistiken besessen und in Zahlen verliebt.“ Wie viel diese Zahlen über das einzigartige, 100 Jahre alte Spektakel Tour de France aussagen, steht indes auf einem anderen Blatt.

SEBASTIAN MOLL