Ein Schamane in Paris

Traurige Tropen: In einer Ausstellung in der Fondation Cartier begegnen westliche Künstler dem Volk der Yanomami

„Ich war naiv“, heißt es immer wieder, „jetzt ist der Weiße mein Feind“

Die Yanomami und ihre Geister leben, wo der Urwald am dichtesten ist. Im amazonischen Grenzgebiet zwischen Brasilien und Venezuela. Die Isolation vom Rest der Welt war lange ihre Überlebensgarantie. Bis in die 80er-Jahre. Dann drangen Siedler, Straßenbauer und Goldsucher in das Stammesgebiet vor. Mit den Weißen kam die Katastrophe: die Zerstörung von Wäldern, Flüssen und Dörfern und Epidemien, an denen tausende Indianer starben.

Die Öffentlichkeit in Europa und den USA erfuhr erst von der Existenz der Yanomami, als sie tödlich bedroht waren. Seither haben Anthropologen, Menschenrechtler und Journalisten das Bild von ihnen im Rest der Welt bestimmt.

Zwanzig Jahre danach organisiert jetzt ein Museum für moderne Kunst in Paris eine ganz andere Begegnung mit den Yanomami. Die Fondation Cartier hat 13 Künstler aus Europa, Japan, den USA und den brasilianischen Großstädten in den Urwald geschickt. Dort verbrachten sie jeweils mehrere Wochen in dem kreisrunden Kollektivhaus von Watoriki – zusammen mit den Einwohnern und den elf Schamanen des Dorfes am Fuß vom „Berg des Windes“. Was die Künstler aus Japan, Europa, den USA und Brasilien im Urwald sahen und erlebten, haben sie anschließend in ihre Sprachen und Techniken übersetzt. Die Ausstellung „Yanomami – l’esprit de la forêt“ zeigt das Ergebnis: Installationen, Skulpturen, Fotografien, Filme und Elektrokompositionen.

Die Yanomami haben keine Bilder. Die Reflexionsflächen ihrer Kultur sind die Körper der Schamanen. Die Schamanen sind für das Heil der Gesellschaft und auch für die Gesundheit der umgebenden Natur zuständig. In langen Zeremonien, bei denen sie viel von dem halluzinogenen Yãkoana-Pulver inhalieren, rufen die Schamanen die Geister der Yanomami „herunter“: winzige Wesen, die auf den Wipfeln der Bäume und über den Felsen im Licht tanzen und für die Augen Normalsterblicher unsichtbar sind. Wenn der Ruf gelingt, schlüpfen die Geister in die Körper der Schamanen und verwandeln sie vorübergehend in Medien, die mit einer anderen Welt und einer anderen Zeit kommunizieren.

In Watoriki bewegen sich die Schamanen nur mit Bändern, Federn und Farben geschmückt barfuß durch das Kollektivhaus. Ihre Zeremonien, bei denen sie singen, stöhnen und schweigen, können Tage dauern. Im 14. Arrondissement von Paris, in dem von dem Architekten Jean Nouvel gebauten Museum aus Glas und Stahl, ergibt die Begegnung mit dieser schamanischen Welt unter anderem „Mirror Maze (Dead Eyes Live)“, eine Installation des US-amerikanischen Künstler Tony Oursler. Er hat einen Raum mit großen weißen Kugeln gefüllt. Auf jede Kugel projiziert Oursler ein bewegtes menschliches Auge. Über jedes Auge huschen Bilder aus dem Urwald: Fabelwesen, Satellitenaufnahmen von Amazonien, Körperfarben. Im Hintergrund laufen Geräusche von einer Urwaldzeremonie. Zwischen den 1,80 Meter hohen Kugeln in Paris wandeln Besucher aus aller Welt. Die meisten von ihnen kennen weder den brasilianischen Urwald noch die Kultur der Yanomami. Die Augenblicke auf den Kugeln fesseln sie dennoch.

Ein paar Räume weiter hat der Japaner Naoki Takizawa eine Installation mit Spiegeln gebaut, auf denen Tierdarstellungen im Licht tanzen. In einem nachtdunklen Raum daneben läuft die Kreation des US-amerikanischen Elektronikmusikers Stephen Vitiello. Er hat O-Töne aus Watoriki mitgebracht – das ununterbrochene Summen und Zirpen des Urwalds, Wassertropfen, Schritte, menschliche und tierische Laute und die Erzählung eines alten Mythos – und sie zu Hause in New York zu einer Elektronikkomposition gemacht.

In Paris ist nicht alles, was die modernen Künstler zeigen, weit von der ursprünglichen Begegnung im Urwald entfernt. So hat der Franzose Raymond Depardon eine Gruppe von Schamanen aus Watoriki bei der Jagd und bei einer Zeremonie begleitet. Sein Film kommt ohne einen einzigen Kommentar aus. Die Brasilianerin Claudia Andujar, die seit Jahren über und mit den Yanomami arbeitet, zeigt in Schwarzweißbildern Szenen aus schamanischen Zeremonien. Der Deutsche Volkmar Ziegler lässt in seinem Film Frauen und Männer zu Wort kommen, die das Vordringen der Bauern, Siedler, Missionare und Goldsucher überlebt haben. In einfachen Sätzen – die Ziegler mit Untertiteln versehen hat – beschreiben sie die Katastrophe. „Ich war naiv“, heißt es immer wieder, „jetzt ist der Weiße mein Feind.“

Der Dialog zwischen Urwald und High-Tech, zwischen Schamanen und modernen Künstlern war für fast alle Beteiligten die erste Begegnung dieser Art. Für den Anthropologen Bruce Albert, der die Arbeit zusammen mit einem Schamanen aus Watoriki organisiert und begleitet hat, haben die Yanomami „durch die Künstler zum ersten Mal das Beste von den Weißen kennen gelernt“. Umgekehrt hofft der Schamane Davi Kopenawa, der zur Ausstellungseröffnung nach Paris gereist ist, dass die Begegnung seinem Volk beim weiterhin bedrohten Überleben helfen wird. In einem Vorwort zu dem Ausstellungskatalog bittet er die Künstler darum, sein Volk nicht zu vergessen und notfalls zu verteidigen. DOROTHEA HAHN

Fondation Cartier, 261, Boulevard Raspail, Paris, bis zum 12. OktoberKatalog 38 Euro