Der reuige Korvettenkapitän und Mörder

Nach Jahren der U-Haft wird dem ehemaligen argentinischen Offizier Adolfo Scilingo in Spanien der Prozess gemacht

Auch die späte Reue nutzt ihm nichts. Der spanische oberste Strafgerichtshof, die Audiencia Nacional, wird die mündliche Verhandlung gegen den argentinischen Exmilitär Adolfo Scilingo eröffnen. So beschlossen es die zuständigen Richter am Montagnachmittag. Der ehemalige Marineoffizier, der seit 1997 in Spanien und mit Unterbrechungen in Untersuchungshaft ist, wird wegen seiner Rolle während der Militärdiktatur 1976 bis 1983 des Völkermordes, Terrorismus und der Folter angeklagt, und das, obwohl er seit Jahren als Reuiger mit der Justiz zusammenarbeitet.

Der 57-jährige ehemalige Korvettenkapitän reiste 1997 aus eigenen Stücken nach Spanien, um dort vor Richter Baltasar Garzón über den Horror der Diktatur auszusagen – zehn Haftbefehle gegen andere argentinische Offiziere basierten danach auf seinen Aussagen.

„Ich habe mich freiwillig gemeldet, um gegen die Kommunisten zu kämpfen“, erklärte Scilingo vor dem Richter. Doch wie dieser „Krieg fürs Vaterland“ aussah, das hatte sich der junge Marineoffizier nicht vorstellen können. Die Oppositionellen wurden in die Mechanikerschule der Marine oder eines der anderen 340 Folterzentren verschleppt. Dort wurden sie tage- und wochenlang gefoltert. Wenn aus den lebenden Toten nichts mehr herauszubekommen war, wurde ihnen ein Beruhigungsmittel gespritzt, sie wurden in ein Flugzeug verfrachtet und aus großer Höhe über dem Meer abgeworfen. 4.400 Menschen starben auf den Todesflügen. Insgesamt verschwanden unter der Herrschaft von General Jorge Rafael Videla und dessen Nachfolgern 30.000 Menschen, unter ihnen 600 Spanier. „Ich hätte mich wohler gefühlt, wenn wir sie erschossen hätten“, gesteht Scilingo, der selbst bei zwei Flügen mit dabei war, in einem Interview.

Scilingo versucht, seinem schlechten Gewissen Luft zu machen. Er schrieb einen Brief an Staatschef Carlos Menem. „Ich glaubte, er würde die Wahrheit suchen“, war Scilingo überzeugt. Doch er wurde enttäuscht. 1994 suchte er deshalb den Kontakt mit der Presse. Dabei entstand ein Buch („El Vuelo“ – der Flug), in dem der Offizier als erster Beteiligter Licht ins Dunkel der Folterkeller brachte. Trotz Drohungen und einer Entführung, bei der ihm die Initialen von Journalisten, mit denen er geredet hatte, ins Gesicht geschnitten wurden, ließ sich Scilingo nicht einschüchtern. Er trat seinen Weg nach Spanien an, wo inzwischen Richter Garzón ermittelte.

Scilingo lieferte Garzón Informationen über 158 Militärs aus der Marineschule und deren Beteiligung am Verschwinden der Oppositionellen. „Ich fühlte mich gleich viel besser, als ich mit Richter Garzón reden konnte“, erklärt Scilingo. „Ich trat in die Marine ein, um Offizier zu werden, und ich habe mich in einen Mörder verwandelt.“ Zweimal war er mit seinen Gewissensbissen zu Militärpriestern gegangen. „Die beruhigten uns. Schließlich müsse die Spreu vom Weizen getrennt werden.“

Über seine Zukunft macht sich der reumütige Argentinier schon lange keine Illusionen mehr: „Es gibt für mich zwei Möglichkeiten: Entweder ich bin weiterhin in Haft, oder ich komme frei und laufe Gefahr, einem Attentat zum Opfer zu fallen.“ Im mündlichen Verfahren wird Adolfo Scilingo einmal mehr über die dunkelsten Jahre seiner Heimat reden. REINER WANDLER