Endzeitstimmung bei Hobby-Visionären

Während Harald Schmidt über Kölns Niederlage im Wettbewerb um die „Kulturhauptstadt Europas 2010“ spottete, flossen bei den Stadtoffiziellen die Tränen. Nach dem Desaster steht die Stadt vor einer Neuordnung ihrer Kulturpolitik

KÖLN taz ■ Harald Schmidt hatte die Lacher am Donnerstag Abend auf seiner Seite. Ein mit hintersinnigem Grinsen zur Begrüßung geschmettertes „Herzlichen Glückwunsch, Essen!“ des Entertainers reichte aus, um im Foyer des Museum Ludwig Heiterkeit auszulösen. Zweieinhalb Stunden zuvor hatte NRW-Kulturminister Michael Vesper bekannt gegeben, dass nicht Köln für Nordrhein-Westfalen ins Rennen um den Titel „Kulturhauptstadt 2010“ gehen wird und auch nicht Münster, sondern eben Essen. Und Schmidt nutzte die Niederlage seiner Wahlheimat, um ganz charmant nachzutreten: In dieser „von sich selbst besoffenen Metropole“, in der „Kulturhauptstadt der Herzen“ sei ihm nicht nur der Slogan „Wir leben das“ seltsam vorgekommen. „Auch den Spruch ‚Kölner lassen keinen allein‘ habe ich immer als Drohung empfunden.“

So ähnlich müssen sich die fünf Jury-Mitglieder gefühlt haben, die am Mittwoch von Oberbürgermeister Fritz Schramma, dem „Chef-Koordinator“ Franz Xaver Ohnesorg und dem übrigen Tross des Bewerbungsteams dreieinhalb Stunden lang durch Köln gelotst wurden. „Dieses Duo war nicht das Erfolgsduo“, hieß es hinter den Jury-Kulissen, nachdem die Entscheidung mit fünf zu null Stimmen für Essen gefallen war. Köln habe wenig Überraschendes zu bieten gehabt, dafür Querelen in der Kulturpolitik. Der kulturpolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion Oliver Keymis, der bei der Besuchergruppe am Mittwoch dabei gewesen war, kritisierte: „Der Kölner Präsentation fehlten die Visionen.“ Und gab den Tipp: „Jetzt muss ein Ruck durch die Stadt gehen, damit das Potenzial Kölns erfahrbar wird.“

Auch Harald Schmidt konnte sich einen Seitenhieb gegen den Kölner OB nicht verkneifen. Von ihm habe er eine „Kulturhauptstadt“-Anstecknadel bekommen und mit dem Gedanken gespielt, sie zu verschlucken – wie Alfred Matzerath in der „Blechtrommel“ das NSDAP-Parteiabzeichen. Mit seiner eigenwilligen Einführung in kölsche Kultur und moderne Kunst begeisterte Schmidt die rund 800 Zuhörer im Museum Ludwig.

Das schiere Kontrastprogramm bot sich zeitgleich im nahe gelegenen Stadtgarten, wo das Kölner Bewerbungsteam versammelt war. Eigentlich hatte ja niemand eine solche Veranstaltung auf die Beine stellen wollen, vor allem nicht die Stadt selber. Dann aber hatte man aus Essen und Münster gehört, dass es dort große „Entscheidungsparties“ gab und Schramma wurde mitgeteilt, dass die Stadtoberhäupter bei der Entscheidungsverkündung in Düsseldorf nicht anwesend sein sollten. Also gab es ein improvisiertes Stelldichein im Biergarten.

Dort wich die anfangs noch lockere Stimmung schnell blankem Entsetzen. Ulrich Soénius, Vertreter der Industrie- und Handelskammer im „Hauptstadt“-Koordinierungsbeirat, weinte. „Also, erstmal habe ich es überhaupt nicht geglaubt. Wir haben zwei Jahre lang unheimlich hart gearbeitet und gezeigt, dass wir Einiges zu bieten haben. Das ist nicht anerkannt worden“, presste er hervor.

Wie Soénius hatte auch Schramma keine Erklärung für die Niederlage. „Köln wäre mit seiner 2000-jährigen Kulturgeschichte, seiner unvergleichlichen Museumslandschaft und der regen aktuellen Kulturszene sicherlich eine würdige Kulturhauptstadt gewesen“, meinte er. Trotzdem gratulierte Schramma Essen „aufrichtig zum Sieg“. Auch der Kölner CDU-Fraktionsvorsitzende Karl Jürgen Klipper versprach, die Essener Bewerbung auf Bundesebene „soweit uns das möglich ist“ zu unterstützen. Für Köln forderte Klipper, „den Impuls aus der Bewerbung aufzunehmen und in eine kulturpolitische Vision umzuwandeln“. Ähnlich reagierte Ulrich Wackerhagen, kulturpolitischer Sprecher der Kölner FDP-Fraktion, der mahnte, dass die „Reihe herausragender neuer Projekte“ nach dem Ausscheiden „nicht wieder in der Versenkung verschwinden dürfen“. Auch Wackerhagens SPD-Pendant Franz Irsfeld schlug in diese Kerbe. Es gelte, „den Schwung“ der Bewerbung zu erhalten.

Doch nach dem frühen Aus im Kulturhauptstadt-Wettbewerb stehen etliche der angestoßenen Projekte auf der Kippe und die Kulturpolitik der Stadt vor einer Neuordnung. Zwar versprach Schramma am Donnerstag Abend vage: „Mit dem Ende der Bewerbung ist nicht alles zu Ende.“ Und Landtags-Vizepräsidentin Edith Müller (Grüne) sagte dem OB noch im Stadtgarten zu, dass die Koordinationsgruppe zur Kulturhauptstadt-Bewerbung weiter machen wolle – als Beratungsgremium. Doch auch der Oberbürgermeister wusste, dass die Millionensummen an Zuschüssen für die Bewerberstadt nun eben nach Essen fließen werden. Somit rückt die Frage weiterer Investitionen – etwa in den umstrittenen Kammermusiksaal am Neumarkt – auf die Tagesordnung.

Auch die Nachfolge der kürzlich verstorbenen Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer soll in den nächsten Wochen geregelt werden. Dazu war zu hören, dass sich CDU und Grüne wie bei der Neubesetzung des Stadtplanungsdezernats im vergangenen Jahr wieder bundesweit nach einer Person umsehen wollen, die beide Koalitionspartner akzeptieren können.

Ein erster Impuls für die Neuordnung der Kölner Kulturlandschaft kam gestern vom KulturNetz Köln, dem freie Künstler wie der Leiter der Theaterkonferenz, Joe Knipp, und die Künstlerin Angie Hiesl angehören. Unter dem Motto „Jetzt erst recht!“ forderte KulturNetz-Sprecher Rainer Michalke, „den 20. Mai zum jährlich wiederkehrenden ‚Kölner Kulturtag‘ zu erklären“ und eine „Kölner Erklärung“ von OB und Stadtrat. Damit solle die Stadt ein „Bekenntnis zur Kultur“ leisten, sich dem „Ausgleich von Tradition und Moderne“ verpflichten und „Beteiligung und Kommunikation“ verbessern.

FRANK ÜBERALL/
SEBASTIAN SEDLMAYR