„Eine unmögliche Mischung“

In der Mannschaft Bnei Sakhnin spielen Juden, Christen und Muslime. Nun hat der arabische Klub aus dem Norden Israels den israelischen Fußballpokal gewonnen und dafür die Glückwünsche von Arafat und Scharon geerntet

BERLIN taz ■ Am Straßenrand stoppte ein Bus, denn in Sakhnin war ohnehin kein Durchkommen. Gut 30.000 jubelnde Menschen waren noch nachts um zwei Uhr auf der Straße der Kleinstadt im Norden Israels, um ein historisches Ereignis zu feiern: Bnei Sakhnin, der örtliche Fußballverein, hatte gerade als erster arabischer Club den israelischen Fußballpokal gewonnen, was schon rein sportlich eine ziemliche Sensation darstellte. Bnei Sakhnin, „die Söhne Sakhnins“, waren erst in diesem Jahr, als dritter arabischer Club überhaupt, in die erste Liga aufgestiegen und hatten sich als Zwölfter von 14 Teams der israelischen Premier League gerade so vor dem Abstieg retten können. Im Pokalfinale aber schlug nun die große Stunde: Mit 4:1 siegte Bnei über Zweitligist Hapoel Haifa.

Im Nationalstadion von Ramat Gan, wo traditionell das israelische Pokalfinale stattfindet, jubelten die 25.000 Bnei-Fans, die zwei Drittel der Zuschauer stellten; und in ihrem Fanblock offenbarte sich die gesamte politische Bedeutung dieses historischen Sieges: Blau-weiße Israel-Fahnen wurden ebenso geschwenkt wie Porträts von Bürgern Sakhnins, die vor vier Jahren von der israelischen Polizei getötet worden waren.

Als vor Beginn des Finales die israelische Hymne gespielt wurde, war es noch ruhig gewesen im Stadion; und als Staatspräsident Mosche Katzav zu den Klängen eines Trompetenorchesters der israelischen Armee das Stadion betrat, hatte es sogar Pfiffe gegeben. Aber nach dem Sieg war alles anders. Katzav übergab Abbas Suan, dem Kapitän von Sakhnin, den Pokal, und der erzählte danach überstolz: „Wir haben dieses Land heute sehr gut repräsentiert. Und wir haben vor, dass mit noch mehr Stolz im nächsten Jahr in Europa zu machen.“ Der Pokalsieg bedeutet schließlich die Teilnahme am Uefa-Cup. „Wir vertreten den arabischen Sektor und den Norden Israels“, führte Suan weiter aus. „Und wir haben bewiesen, dass es ein Zusammenleben von Juden und Arabern gibt.“

Zwar gehörten im Finale nur drei Palästinenser zur Startelf von Trainer Eyal Lahmann, einem jüdischen Israeli. Aber in seinem Kader stehen zwölf arabische und sieben jüdische Israelis sowie vier Ausländer. „Wir haben eine eigentlich unmögliche Mischung zusammengestellt“, hatte Lahmann in einem Interview erzählt. „Ich habe nur ein paar neue Spieler eingebaut, aber sichergestellt, dass es gute waren. Ich habe gefühlt, das Sakhnin gute heimische Spieler hat, und alles, was sie lernen mussten, war die Taktik. Sakhnin ist ein Ort, an dem die Emotionen sehr wichtig sind.“

Den besten Ruf unter Israels Fußballern genießt Lahmanns „unmögliche Mischung“ indes nicht. Als Tretertruppe gelten sie, aber Lahmann verteidigt sein Konzept. „Wir haben beschlossen, dass wir einen sehr körperlichen Fußball spielen wollen“, sagt er und führt Beispiele an: Sein liebstes ist Lettland, das demnächst in Portugal erstmals an einer EM teilnimmt. Der Präsident des israelischen Fußballverbandes, Itche Menahem, wurde ob dieser Perspektive ganz pathetisch: „Das Zusammenwirken, das hier und heute gezeigt wurde, sollte ein Beispiel für die ganze Welt sein. Eine Mannschaft, die aus Juden, Christen, Muslimen und Ausländern besteht und eine arabische Stadt vertritt, könnte als Brücke für den Frieden fungieren.“ „Ehrenvoll“ solle Bnei Sakhnin doch bitte Israel international repräsentieren, teilte auch Ministerpräsident Ariel Sharon eine Stunde nach dem Sieg telefonisch dem Präsidenten von Bnei, Mazem Ghnaim, mit. Kaum hatte Ghnaim aufgelegt, rief auch Palästinenserpräsident Jassir Arafat an, um zu gratulieren.

Derweil mischte sich in Jubelfeiern draußen auf merkwürdige Weise trauerndes Gedenken an die Toten von Rafah. „Ich war unentschieden, ob ich ins Stadion gehen sollte“, sagte Ahmed Tibi, ein arabischer Abgeordneter der Knesset, dem israelischen Parlament, „zwei, drei Stunden vor dem Spiel war ich noch damit beschäftigt, eine Ambulanz zu organisieren, die sich um die Körper eines 11- und eines 15-Jährigen kümmert, die in Rafah erschossen wurden.“ Tibi fuhr schließlich dennoch ins Stadion. „Nach dem Spiel erhielt ich jede Menge Anrufe von Freunden aus Gaza, die mir gratulierten“, erzählt er. „Wir versuchen unser Leben inmitten von dem Blut zu leben. Es ist der Versuch, normal zu sein, wenn schon das Leben nicht normal ist“, erklärte er.

MARTIN KRAUSS