Einstürzende Bauten an der Saar

Die Einwohner ganzer Ortschaften im Landkreis Saarlouis wehren sich gegen den Steinkohleabbau unter bewohntem Gebiet. Sie befürchten Gebäudeschäden, Überschwemmungen und Erdrutsche. Von ihren Versicherungen haben sie nichts zu erwarten

AUS NALBACH KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Mathias Paul, Jahrgang 1959, ist Ökobauer und Besitzer eines Hofladens im 2.200 Seelen zählenden Dorf Piesbach. Angst hat er nicht – außer dass ihm die Decke auf den Kopf fallen könnte. Ganz wörtlich: Paul fürchtet sich vor dem Tag, an dem die Deutsche Steinkohle AG (DSK) ihren Antrag auf den Abbau von Steinkohle im Feld Primsmulde genehmigt bekommt. Dann würden vier kilometerlange Stollen unter dem Flüsschen Prim, den angrenzenden Feldern Pauls und – falls auch die heftig umstrittenen Flöze drei und vier realisiert werden – unter den vier Ortschaften der Großgemeinde Nalbach, zu der Piesbach gehört, in das „tektonisch unsichere Gestein“ (Paul) getrieben.

Was dann passieren kann, ist überall dort im Saarland zu sehen, wo bewohntes Gebiet bereits untertunnelt wurde. Die Versicherungen verweigern kollektiv Policen gegen Bergbauschäden. Die DSK räumt in ihrem Antrag ein, dass sich der Boden über dem Feld Primsmulde in Einzelfällen bis zu 2,20 Meter absenken könnte. Norbert Dell und Toni Sillwell halten das für Schönfärberei. Die Mitglieder der Interessengemeinschaft zur Abwendung von Bergschäden (Igab) in Nalbach befürchten Einbrüche von mehr als 3 Metern. Ebenso Überschwemmungen, wenn sich der Fluss nach großflächigen Absenkungen aufstaue. Ökobauer Paul sieht ein weiteres Problem: „Wenn die DSK anfängt, die Flöze unterirdisch abzubauen, könnte durch die Erschütterungen auch der Hoxberg im Süden des Tals wieder ins Rutschen kommen.“ Das war schon einmal der Fall. 1965 machte ein Erdrutsch mehrere Häuser unbewohnbar.

Allein in Nalbach gehören inzwischen 600 Familien der landesweit organisierten Initiative an. Und rund 1.300 Familien aus der Großgemeinde werden bis zum 4. Juni, dem vom Bergamt festgesetzten Stichtag, ihre Einwendungen gegen den Antrag der DSK geltend machen. „90 Prozent der Menschen hier sind gegen den Steinkohleabbau“, sagt Bürgermeister Patrik Lauer. Der Sozialdemokrat unterstützt die einwendungswilligen Bürger seiner Kommune, extra abgestellte Gemeindebedienstete helfen bei der Formulierung der Gegenanträge. Damit hat sich Lauer in seiner Partei im Saarland ganz sicher keine Freunde gemacht: Er liegt quer zur Parteilinie, die einst von Oskar Lafontaine ausgegeben und vom amtierenden Landesparteivorsitzenden Heiko Maas übernommen wurde: „Ja zur Kohleförderung an der Saar! Für den Erhalt der Arbeitsplätze im Bergbau!“ Den jungen Bürgermeister regt das auf. Schließlich werde jeder Arbeitsplatz im Bergbau zur Zeit mit über 80.000 Euro pro Jahr subventioniert – obwohl er ein „Auslaufmodell“ sei.

Arbeitsplätze würde der Abbau von Feld Primsmulde ohnehin keine schaffen, höchstens einige erhalten. Von den zur Zeit rund 8.000 Stellen im Kohlebergbau an der Saar sollen bis 2006 knapp 3.000 abgebaut werden. Und 2012 sollen in der Branche an der Saar nur noch 2.700 Menschen arbeiten. Die Bundesregierung kürzt die Subventionen – und die DSK streicht die Arbeitsplätze zusammen, damit die Relation wieder stimmt. Weil Ministerpräsident Peter Müller (CDU) vor den Landtagswahlen 1999 versprochen hatte, alles daranzusetzen, so schnell wie möglich ganz aus dem Kohlebergbau auszusteigen und das Saarland zum Hochtechnologie- und Dienstleistungsstandort auszubauen, strich er flächendeckend absolute Mehrheiten ein. Jetzt sind alle Abbaugegner von Müller enttäuscht, von der SPD sowieso. Der Ministerpräsident schweige sich aus, sagt Bürgermeister Lauer. Und die Leute vom Bergamt, der Aufsichts- und Genehmigungsbehörde, die dem Saarbrücker Wirtschaftsministerium untersteht, träten auf Veranstaltungen in der Region als „Fürsprecher der DSK“ auf und rieten von Einsprüchen ab.

Lauer rechnet damit, dass das Bergamt die Einwendungen ablehnt. Dagegen müsse man dann Widerspruch beim Oberbergamt einlegen, das aber bislang noch nie einer Entscheidung des Bergamtes widersprochen habe. Danach könne man gegen die Genehmigung klagen. Da werde die Behörde dann Sofortvollzug anordnen, mutmaßt der ehemalige Verwaltungsrichter, auch gegen den müsse man dann klagen – ohne aufschiebende Wirkung. Lauer ist fest entschlossen, bis zum Europäischen Gerichtshof weiterzumachen.

Ökobauer Pauls letzte Hoffnung ist, dass der DSK nach 2006 der Atem ausgeht, weil eine neue Bundesregierung die Subventionen doch streicht. Eine Regierung Merkel? Paul zuckt die Schultern. Er verzichtet schon seit Jahren freiwillig auf alle Subventionen für Ökolandbau. „Von denen will ich nichts haben.“