Weder Biss noch Mark

So what: Der eiserne Kanzler war verfressen, hatte eine Fistelstimme und womöglich auch noch einen weichen Kern. Aber muss man darum Theater machen? Am Leibnizplatz wird‘s versucht

Preußen ist ein steifleinenbezogenes Bett mit scharf auf Eck gefalteter Decke. Daneben ein schlichter Stuhl, der als Ablage für eine Pickelhaube dient. Das reicht vollkommen: Der Aufbau atmet Disziplin. Und die überträgt sich aufs Publikum im muffigen Ambiente der Probebühne am Leibnizplatz. Es ist ruhig als hätte das Stück bereits begonnen. Dabei steht die Saaltür noch offen. Und man hat soeben bekannt gegeben, dass noch auf einige Besucher gewartet werde. Trotzdem: pflichtbewusste Stille.Traurig, aber wahr: Obwohl es noch gar keine ist, ist das bereits die stärkste Szene. So wie die beste Pointe des Abends auch nach anderthalb Stunden noch immer die bleibt, dass eine Nachfahrin der Titelfigur diese spielt: Bismarck 2 – Der andere Kanzler heißt Wolfgang Rumpfs am Samstag uraufgeführtes Stück. Es erweist sich als Lappalie.

Der Bilderbogen für zwei Personen ist ein Thesenstück. Das Problem: Es hat nur eine einzige These. Und diese, – dass sich nämlich hinter der ultraharten Schale des Eisernen Kanzlers doch auch ein Sol-Ei-weicher Kern verborgen habe – ach!, diese These ist belanglos. Sie muss nicht einmal mit Aplomb ausgesprochen werden, um für eine Binsenwahrheit gehalten zu werden. Eric Roßbander mit Schnurrbart und Maria von Bismarck, ebenfalls mit Schnurrbart, erledigen das mit dem ersten Auftritt: Spot auf Roßbanders fahl geschminktes Gesicht – Otto von Bismarck liegt im Sterben, ruft nach seinem Leibarzt und leidet unter Visionen. Strahler aus. Und wieder an, diesmal auf Maria von B.’s geweißtes Gesicht. Auch sie ruft nach Schwenninger und durchlebt vergangene Emotionen.

Unerwähnt bleibt die Fistelstimme. Die übrigen Gemeinplätze der Bismarck-Biografik werden jedoch zuverlässig aufgegriffen. Naja, immerhin lässt sich Fresssucht noch vergnüglich inszenieren. Auch gilt es Archivaren-Schweiß zu verspritzen: Beide Kanzlerdarsteller kramen Briefe aus einem Kistchen. Ein Schreiben an die Frau Gemahlin soll des Fürsten feuriges Fühlen versinnbildlichen. Problem nur: Bismarck tappt in denselben Zärtlichkeitsfloskeln herum, die jeder Otto Müller zwischen 1840 und 90 auch benutzt. Ein mittelmäßiger Romantiker wäre er also gewesen. Wie interessant! Für ein Psychodrama reicht das allerdings nicht.

Fataler jedoch, dass dem Kompilat jede historische Kontur fehlt. Mithilfe von Regisseur Jochen Biganzoli gleitet’s sogar munter bis ins klitternd-Falsche: Bismarck schließt die Augen. Es erklingt: Haydn. Das Kaiserquartett. Letzter Satz, die Melodie. „Gott erhalte Franz den Kaiser“ sang man dazu bis 1918. Sie hörten: die Hymne der k.u.k-Monarchie. Im Geschichtlich-Unbestimmten lässt sich trefflich schwadronieren, mehr nicht: Ohne politisches Mark und ohne Biss schlabbert sich das Stück zu einem Ende. Begrüßt von Erleichterungsbeifall nebst zornigem Buh. Dem ist nichts hinzuzufügen. Benno Schirrmeister

Aufführungen: 12. & 18. 06, 20 Uhr