berliner szenen Neue Geschäftsmodelle

Das 50-Euro-Geschenk

Es hörte sich vielversprechend an: „Sie haben ein Geschenk im Wert von 50 Euro gewonnen“, sagte die Stimme am anderen Ende der Telefonleitung. Ein Geschenk. Da sagt man nicht Nein, auch wenn es auf die Frage, was einem denn die Ehre verschaffe, nur hieß, es sei ein Dankeschön für die Teilnahme an einer Telefonumfrage. „Wann haben Sie Zeit, dass einer unserer Mitarbeiter bei Ihnen vorbeikommen kann?“ 50 Euro. Dafür kann man die Verletzung der Intimsphäre ja mal in Kauf nehmen. Wenige Tage später saß er auf dem Sofa, ein gehetzt wirkender Mann zwischen dreißig und fünfzig, der nach ein paar auf eine rührende Art ungeschickten Versuchen ein Gespräch anzukurbeln, zur Sache kam: „Wie viel Geld verdienen Sie eigentlich?“ Nicht nur, weil man ungern wildfremden Menschen gegenüber seine Vermögensverhältnisse offen legt, machte dies einen großartig unseriösen Eindruck. Es war vor allem der Umstand, dass zur Entgegennahme des Geschenks auch noch eine Kaution von 10 Euro fällig wurde. Das Geschenk bestand nämlich in dem Besuch eines Vortrags einer Schöneberger Finanzberatungsfirma, ein Vortrag, der normalerweise 50 Euro Eintritt kosten würde. „Sie können 30 Prozent ihrer Steuern sparen“, erklärte er. „Wir müssen nur wissen, dass Sie auch kommen, deshalb die 10 Euro Kaution. Selbstverständlich bekommen Sie das Geld zurück.“ Ein 50-Euro-Vortrag, der 10 Euro Kaution kostet und einem zu einer 3ß-prozentigen Steuerersparnis verhilft? Nichts wie hin. Aus dem Besuch wurde dann allerdings nichts. Zuspätkommer fanden keinen Einlass. Drei Angestellte sicherten den Vortragsraum, aus dem gedämpft Dvoráks Sinfonie aus der Neuen Welt herüberschallte.

TOBIAS RAPP