Die bessere Stimmung bei den Verlierern

Regen und Wind vor dem Reichstag, Würstchen und Bier in Frankfurt (Oder): Auf Videowänden verfolgt das Volk live die Wahl des Bundespräsidenten. Im Ehrenhof der Viadrina waren alle für Gesine Schwan. Doch am Ende gewonnen hat nur Frankfurt

Rau irgendwo in Afrika bei strahlendem Sonnenschein, hier echte Demokraten im Regen und Wind. Die Videowand vor dem Reichstag zeigt die letzte große Auslandsreise des scheidenden Bundespräsidenten. Gleich soll der neue gewählt werden, und offenbar gibt es Demokratiefans, die sich so was reinziehen.

Charlotte etwa, 17 Jahre alt, mit einer süßen Zahnspange, steht hier im Regen. Sie hat einen roten Rucksack mit dem Friedenszeichen auf dem Rücken, aber keinen Schirm, die blonden Haaren werden dunkel. Wegen der Preisverleihung des Bündnisses für Demokratie und Toleranz ist sie von Stuttgart nach Berlin gereist. Jetzt harrt sie hier aus, obwohl es immer heftiger regnet. Sie wäre eine gute Repräsentantin unserer Demokratie.

Für Gesine Schwan ist Charlotte, weil Horst Köhler von der CDU ist, wie sie knapp erklärt. Bald halten es vor der Videowand bei der namentlichen Abstimmung nur noch zehn Menschen aus. Dafür gibt’s echte Volksnähe im Infowagen des Bundestages. „Natürlich“, sagt eine Frau aus dem Ruhrgebiet da drin, sei sie für Köhler. Vor allem weil der so viel ökonomische Erfahrung habe. War wohl ’ne doofe Frage.

„Der Rasen wird jesprengt trotz dem Rejen“, mosert ein Berliner vor dem Fernseher, „hat doch die janze Nacht jerechnet. Schade um die Steuergelder!“ Der Mann hat sich eine Leinentasche des Bundestags mit Infomaterial mitgenommen. Er wiederholt für seine Mutter genau das, was eben im Fernsehen gesagt wurde: „Jetzt muss det Erjebnis kommen“, sagt er, oder: „Det is die Barbara Rütting.“ Sonst passiert nichts. Um 13.52 Uhr verliest Bundestagspräsident Thierse im Fernsehen das Ergebnis der Abstimmung – ein Raunen geht durch die Infowagen: 304 Stimmen, das war knapp. Die Frau aus dem Ruhrgebiet klatscht.

„Ich liebe unser Land“, sagt der neu gewählte Bundespräsident Horst Köhler, Deutschland müsse um seinen Platz in der Welt „kämpfen“. Nach dem Abspielen der Nationalhymne klatschen einige Patrioten im Infowagen. Wenigstens kommt jetzt die Sonne raus. Der Berliner zeigt seiner Mutter auf einem Plakat, das er mitgenommen hat, wann die EU-Parlamentarier Sitzungswoche haben. „Sonst kriejn die det Jeld, obwohl se nich da sind.“

Der Platz vor der Videowand hat sich wieder ein wenig gefüllt, es regnet nicht mehr. Aber zu sehen gibt’s nichts mehr. Die Menge zerstreut sich, Charlotte ist schon seit längerem nicht mehr zu sehen. Zu Hause in Stuttgart kann sie erzählen, dass sie dabei war, als der Bundespräsident gewählt wurde. Fast jedenfalls. Es gibt noch echte Demokraten.

PHILIPP GESSLER

Bier. Würstchen. Und eine Stimmung wie bei einem Finalspiel, weil ihre Präsidentin die Präsidentin des ganzen Landes werden soll. Asta und studentische Initiativen der Viadrina in Frankfurt (Oder) haben in den Ehrenhof der Frankfurter Europa-Universität geladen. Etwa hundert Studenten wollen hier live die Bundesversammlung verfolgen. So viel ist sicher, in Frankfurt (Oder) hätte eine Direktwahl der Bundespräsidentin Ergebnisse gebracht wie zu DDR-Zeiten: alle für Schwan, niemand für Köhler.

Als die konservative Wahlfrau Gloria von Turn und Taxis auftritt, geht’s unter die Gürtellinie. „Die alte Koksnase!“, ruft jemand aus dem Publikum. Applaus erntet hingegen, wer Schwan lobt. Fast könnte man glauben, dass die Studenten ihre Präsidentin nach Berlin wegloben wollen.

Um 13:53 Uhr applaudieren die Studenten ihrer Präsidentin, gemeinsam mit den Mitgliedern der Bundesversammlung. Aus Respekt. Sie hat es nicht geschafft. „Also, ich bin schon sehr enttäuscht“, sagt Torben Swane. Der 22-jährige Jurastudent hatte geglaubt, dass seine Präsidentin es packen würde. „Es wäre wirklich eine Revolution für das Land gewesen“, meint Swane, der die Wahlparty mit organisiert hat. Nun findet die Revolution nicht statt. Krzysztof Wojciechowski, Leiter des Collegium Polonicum in Słubice, sieht den Wahlausgang mit gemischten Gefühlen. „Die beiden Städte haben gewonnen, denn der Verlust von Frau Schwan würde sich gleich bemerkbar machen.“ Wojciechowski lobt die Verliererin: „Sie kann eine Atmosphäre schaffen, wo ganz mutige Schritte möglich sind. Das hat Deutschland verloren.“

Aber die Viadrina hat Frau Schwan erneut gewonnen. Wenn sie an der Europa-Universität bleibt. Im Oktober 2005 endet ihre Amtszeit als Präsidentin. Dass sie nach verlorener Wahl nicht gern abwartet, hat sie bereits einmal bewiesen, als sie 1999 von der Freien Universität an die Viadrina wechselte. In Frankfurt (Oder) hofft man nun, dass es diesmal anders kommt.

SÖREN URBANSKY

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