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: Sechs Punkte sind das Maß aller Dinge

Wir beglückwünschen Bayern München zu einer rundum erfolgreichen und realistischen Saison. Werder Bremen sowieso

Sechs Punkte sind eine ganze Menge. Sie machen den Unterschied aus zwischen einem glanzvollen Meister und einem depressiven und gramzerfressenen Vizechampion; zwischen einem ach so bescheiden, klug und nüchtern geführten Fußballunternehmen mit Elffreundebonus und einem großmannssüchtigen, egomanischen Prasserhaufen; zwischen einem gemütsruhigen, taktikfüchsigen und motivationskünstlerischen Wundertrainer und einer ausgemachten Niete, dem sogar der Platzwart auf der Nase herumtanzt und der es nicht schafft, lauter Superstars zu erklären, wie man einen Ball geradeaus schießt. Sechs Punkte, das sind aber auch ein Ailton-Schlenzer an den Innenpfosten statt eines Pizarroknallers an die Latte oder ein Elfmeterpfiff auf der einen statt eines Elfmeternichtpfiffs auf der anderen Seite, ein erfolgsabträgliches Fahnenwedeln, ein paar Verletzungen im falschen Moment oder ein titanöser Fehlgriff. Sechs Punkte sind eigentlich nicht viel.

Im Grunde könnten sie also zufrieden sein, die Münchner Bayern. In der Champions League die Vorrunde überstanden, dann ehrenvoll gegen das große Real Madrid ausgeschieden. Super! DFB-Pokal, nun ja, aber wen interessiert der schon? Bestimmt nicht die Bayern, wie sie letztes Jahr mit ihrem Routinejubel bewiesen. Schließlich 68 Punkte in der Bundesliga – auch das keine üble Ausbeute. Vor zwei Jahren waren sie damit Dritter, das Jahr davor hatten sogar 63 Punkte zum Titel gereicht. Diesmal war Werder Bremen, wo alles optimal lief, einfach besser – sechs Punkte – das muss man neidlos anerkennen. Trotzdem: Glückwunsch, Bayern München, zu einer gelungenen Saison, in der die Mannschaft ziemlich genau das erreicht hat, was man ihr vernünftigerweise zutrauen durfte.

Vernunft war indes nie die starke Seite der Bayern, weshalb es dort jetzt auch drunter und drüber geht. Ein Trainer, nach dem sich ganz Europa die Finger leckt, mit Schimpf und Schande davongescheucht, der deutsche Vorzeigefußballer auf der Abschussrampe, ein französischer Nationalverteidiger als Faulpelz und Drückeberger verunglimpft. Nur die Führungsetage bleibt ungeschoren und darf wieder unrealistische Ziele ausgeben, an denen man dann prächtig scheitert.

Dabei könnte ein kleiner Blick zur Konkurrenz lehren, was wirkliches Scheitern heißt. Nach Dortmund etwa, wo alles verpasst wurde, was zu verpassen ist, und die Zukunft nicht mehr schwarz-gelb, sondern schwarz-schwarz leuchtet. Nach Berlin, wo vom grandiosen Zukunftsmodell der Hertha gerade noch das Gerüst steht. Oder in die unmittelbare Nachbarschaft. Wie hieß doch gleich dieser komische Verein aus der Grünwalder Straße?

MATTI LIESKE