Misshandlung unter Oberaufsicht

Der Befehlshaber der Besatzungstruppen im Irak, Generalleutnant Ricardo Sanchez, soll bei Misshandlungen im Gefängnis Abu Ghraib selbst dabei gewesen sein. Das berichtet am Wochenende die „Washington Post“ unter Berufung auf Militäranwälte

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Gegen den Befehlshaber der Besatzungstruppen im Irak werden im Zuge der Ermittlungen im Folterskandal der US-Streitkräfte schwere Vorwürfe erhoben. Generalleutnant Ricardo Sanchez sei bei der Misshandlung von Häftlingen im Gefängnis Abu Ghraib zum Teil persönlich anwesend gewesen, berichtet die Washington Post am Sonntag unter Berufung auf den Armeeanwalt Robert Shuck.

Dieser sagte laut einem der Zeitung vorliegenden Gesprächsprotokoll von Anfang April gegenüber einem Militärankläger, dass der zuständige Offizier im nunmehr berüchtigten Gefängnisteil von Abu Ghraib, Hauptmann Donald Reese, gegen garantierte Immunität aussagen werde, „General Sanchez war da und sah, dass dies geschah“. Shuck vertritt den angeklagten Militärpolizisten Ivan Frederick, einen von sieben wegen der Misshandlungen in Abu Ghraib Beschuldigten der 372. Militärpolizeibrigade.

Sanchez, der bislang nicht auf die Vorwürfe reagiert hat, gerät in diesem Fall durch eine neue Aussage der ehemaligen Gefängnisleiterin Janis Karpinski weiter unter Druck. Sie sagte in einem Interview, der General habe Abu Ghraib im Oktober 2003 mindestens dreimal besucht. Zu diesem Zeitpunkt begannen die bisher dokumentierten Misshandlungen. Die Visiten erschienen ihr „ungewöhnlich“, da Sanchez keines der anderen 15 Gefängnisse im Irak jemals aufgesucht hätte.

Karpinksi, mittlerweile vom Dienst suspendiert, muss sich jedoch seit dem Wochenende selbst neuer Vorwürfe erwehren, die allerdings die gesamte Militärführung betreffen. Nach Informationen der New York Times unterzeichnete sie im Dezember einen Brief an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, in dem erklärt wird, dass in Abu Ghraib die „militärische Notwendigkeit“ bestehe, mehrere Häftlinge für Verhöre zu isolieren. Überdies sei es rechtlich legitim, verschiedene Gefangene, die als Sicherheitsrisiko gälten, anders zu behandeln als Kriegsgefangene oder gewöhnliche Verbrecher. Das Schreiben soll laut Zeitung von Militäranwalten verfasst worden sein. Karpinski hat bislang alle Anschuldigungen im Zusammenhang mit der Folteraffäre zurückgewiesen und wiederholt ausgesagt, von allem nichts gewusst zu haben.

Der Brief lässt darauf schließen, dass die US-Armeeführung im Irak einen Bruch der Genfer Konvention bei der Behandlung irakischer Gefangener bewusst in Kauf genommen hat. Er widerspricht auch den bisherigen Angaben der US-Regierung, wonach irakische Häftlinge unter dem Schutz der Genfer Konvention stehen. Bislang waren nur Auszüge des Schreibens bekannt geworden, die sich auf Angaben eines ranghohen Offiziers stützten. Darin wurde das Rote Kreuz aufgefordert, den Gefängnisabschnitt in Abu Ghraib, in dem die brutalsten Misshandlungen stattgefunden hatten, künftig nicht ohne Ankündigung zu besuchen.

Derweilen untersucht das Pentagon nach US-Medienberichten insgesamt 32 Todesfälle von Häftlingen im Irak und weitere fünf von Gefangenen in Afghanistan. Acht davon seien von Medizinern bereits als Tötungen bestätigt. Dies schließe mutmaßliche Übergriffe auf Gefangene „entweder vor oder während der Verhöre ein, die möglicherweise zum Tod der Häftlinge geführt haben“. Unter den ungeklärten Todesfällen ist auch der eines ehemaligen Generals, der unter Saddam Hussein Chef der irakischen Luftverteidigung war. Das Verteidigungsministerium veröffentlichte insgesamt 22 Autopsien, in denen als Todesursachen mehrfache Schusswunden, Strangulierung, Verletzungen durch starke Gewalteinwirkung und Erstickung angegeben sind.

Der seit nunmehr drei Wochen die Schlagzeilen bestimmende Folterskandal mit seinen täglich neuen Enthüllungen und der anhaltende Guerillakrieg im Irak haben dafür gesorgt, dass Präsident George W. Bush so unpopulär ist wie noch nie in seiner Amtszeit. Erstmals hat sogar Herausforderer John Kerry im vergangenen Monat mehr Spenden gesammelt. Eine groß angelegte PR-Offensive des Weißen Hauses soll nun den Abwärtstrend stoppen. Beginnend am Montag wird Bush jede Woche vor einem ausgewählten Publikum aufs Rednerpult steigen, den Irak als zukünftige Erfolgsstory und sich selbst als unbeirrbaren Feldherrn verkaufen.

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