Ein erstaunliches bisschen Erfolg

Die rot-grüne Kandidatin Gesine Schwan hat mehr Stimmen als erwartet aus dem bürgerlichen Lager geholt. Gründe dafür gab es zahlreiche, der Frauenfaktor war nicht der entscheidende

BERLIN taz ■ Es ist ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk für Gesine Schwan. Sie lacht zu Recht ihr breitestes Lachen, als die 604 Stimmen für Köhler verkündet werden – und nimmt Glückwünsche und Umarmungen entgegen, als habe die magische 604 ihr gegolten. „Eine Stimme über den Durst“, wie die grüne Fraktionschefin Krista Sager später sagt, das ist kein Glanzergebnis für Köhler.

Für Gesine Schwan ist es ein Erfolg. Sie hat mindestens 6 Stimmen aus dem bürgerlichen Lager abgezogen und 41 Stimmen mehr, als Grüne und SPD aufbrachten. Das zeigt ziemlich genau, wie viel Bewegung eine Frau wie Schwan in die deutsche politische Landschaft bringen kann: ein erstaunliches bisschen. Der Union hat sie den Triumph verhagelt. „Eine Reihe von Abgeordneten haben sich nicht instrumentalisieren lassen“, freut sie sich hinterher. Das ist in der Tat ein kleiner Triumph dessen, was Schwan immer im Munde führt: der Kraft der Demokratie.

Denn allzu gut hatte es vor der Wahl nicht für sie ausgesehen. Zwar gab es einige Empfehlungen von Frauen- und Intellektuellenbündnissen für sie. Doch CDU und FDP hatten klar gemacht, dass diese ihre Wahlleute nicht sonderlich beeindruckten. Nicht einmal Alice Schwarzer, die gerne Kampagnen für Frauen lostritt, hatte sich animieren lassen: „Ich verwechsle schon lange nicht mehr das, was ich mir wünsche, mit dem, was in der Realität passiert“, sagte sie der taz. Aber in den Reichstag gekommen ist sie doch – um das Ereignis für einen Fernsehsender zu kommentieren. Und auch dies ist ein Zeichen dafür, dass diese Wahl doch ein ganz klein bisschen besonders ist.

Nie hat eine weibliche Zählkandidatin bei einer Bundespräsidentenwahl mehr Wirbel verursacht als diese. Prompt versprach sich Bundestagspräsident Thierse, als er die Kandidaten vorstellte: „Herr Professor Gesine Schwan.“ Alles lachte, und Schwan, die dem Errötenden im Scherz mit dem Zeigefinger drohte, hatte schon wieder die Sympathien auf ihrer Seite. Die Umfragen haben sie ebenfalls verwöhnt, alle sind der „tapferen“ Kandidatin (SPD-Chef Müntefering) dankbar für die gute Figur, die sie gemacht hat.

Tatsächlich waren es nur ganz wenige Frauen aus dem bürgerlichen Lager, die sich Gedanken gemacht haben, ob sie nicht der Frau den Vorzug vor dem Fraktionszwang geben sollen. Eine davon ist Ursula Thümler. Die FDP in Niedersachsen hatte die Chefin des Landesfrauenrats delegiert. „Ich wähle natürlich auch im Namen meines Frauenrats“, sagte Thümler der taz, „und der hat beschlossen, dass eine Frau Bundespräsidentin werden soll.“ Thümler befand sich „in einem echten Gewissenskonflikt“.

Zu diesem Konflikt hatten die Zählappelle vom Vortag einiges beigetragen: „Als ich herfuhr, hatte ich noch eher das Gefühl, dass Schwan eine Chance hätte. Dieses Gefühl ist seit meinem Aufenthalt hier sehr geschwunden.“ Auch Maria Böhmer, Fraktionsvize der CDU, ging von nichts anderem aus. „Wenn jetzt SPD-Frauen von uns erwarten, dass wir für Schwan stimmen, dann frage ich zurück, warum sie bei der letzten Wahl nicht für Frau Schipanski gestimmt haben“, so Böhmer zur taz.

Auch nach der Wahl meinten viele, dass es nicht unbedingt die Frauen waren, die vom Fraktionszwang abgewichen seien. Sachsens Exministerpräsident Biedenkopf: „Es war eine Gemengelage: Manche fanden es doof, dass da ein Kandidat von außen nominiert worden war, andere wollten der Frau Merkel einen Nasenstüber erteilen.“ Insgesamt sei er „beeindruckt von der Weisheit dieses Gremiums: Sie haben den Präsidenten gewählt, aber sie haben ihrer Führung auch gezeigt, dass man sie nicht einfach disziplinieren kann.“ Gesine Schwan hat ihnen diese Disziplinlosigkeit leicht gemacht. HEIDE OESTREICH