Lobbyarbeit im Schattenreich

Weil ihr Nationalteam einen Einteiler trug, wurde es mit Minuspunkten bestraft. Auch in NRW wehrten sich Kameruner erfolgreich gegen das Unrecht

„Bei Deutschland denkt man an Mercedes, bei Kamerun an Fußball.“ Stolz sind sie darauf, so bekannt zu sein Mit einer eitlen Geste der Großmut begnadigte Schattenmann Blatter das Kameruner Team

AUS ESSEN CHRISTOPH SCHURIAN

Das globale Dorf, hier ist es ein deutsch-afrikanisches Wohnzimmer im Essener Süden. Gardinen lassen kaum Licht hinein, zwei Computerbildschirme leuchten auf einem Schreibtisch, ein Couchtisch, eine Sitzgruppe. In der Küche klappert jemand und bleibt doch ein Schatten.

Es geht um Schatten. Um böse, große Schatten, Schatten der Vergangenheit, Schatten auf dem Fußball, auf Kamerun. Vielleicht muss man gegen die dunklen Mächte gar einen „Volksaufstand starten oder einen Hungerstreik?“ – Paul Metusala Dikobe lacht dann doch über seine düsteren Gedanken.

Seit bald 20 Jahren lebt Dikobe im Ruhrgebiet. In Kamerun hat er auf Erdölfeldern gearbeitet, dann ist er nach Deutschland gekommen zum Studieren, ein paar Jahre wollte er bleiben: „Aber es kommt ja immer anders im Leben“, seufzt Dikobe, jetzt hat er hier Familie, die Alten Herren von den Sportfreunden 07 und sein Netzwerk. Seine „Lobby“, nennt er das, in Kamerun fiele es ihm jetzt schwerer, da gebe es nicht diese Kontakte.

Mitlobbyist ist Tang Bayock, auch er ist 42, auch er ist vor rund 20 Jahren nach Deutschland gekommen, einer der Netzwerker aus Kamerun. In diesen Tagen ist es ein Netzwerk gegen den Weltfußballverband, die FIFA und eine abstruse Entscheidung.

Rückblende. Afrikameisterschaft 2004 in Tunesien, Nigeria besiegt Kamerun in der Finalrunde. „Für uns war die Geschichte damit erledigt“, erinnert sich Dikobe. Doch dann las er eine Meldung im Videotext: Kamerun muss mit sechs Minuspunkten in die jetzt im Juni startende Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2006 starten. Dazu bekommt der Fußballverband des Landes eine Strafe von 130.00 Euro aufgebrummt.

Der Grund: Kamerun hat gegen die FIFA-Statuten verstoßen, vor allem gegen die so genannte Regel Vier, die vorschreibt, das ein Fußballspieler Stutzen, Schuhe aus weichem Leder oder Segeltuch, Schienbeinschoner und eine Hose und ein Trikot zu tragen habe. Doch Kamerun trug in Tunesien erstmals einen engen Einteiler.

Für Bayock sind so etwas „Innovationen“ – der Sport, der Fußball lebe von den neuen Ideen, meint der Aachener Unternehmer, zuletzt betrieb er eine Spedition. Kamerun sei dafür bekannt: „Das ärmellose Trikot der letzten WM in Japan und Südkorea wurde auch ein Schlager“ – an den neuen Einteilern könne der Gegenspieler viel schlechter zerren. Auch gehe Zeit dabei drauf, dass Spieler ihre Sportkleidung richten müssten: „Time is money“, schmunzelt Bayock. Natürlich gehe es auch um die Interessen der Sportartikelhersteller. Puma, Ausrüster der Kameruner Nationalmannschaft, hole auf. Adidas unterhalte wiederum enge Kontakte zu FIFA-Präsident Josef Blatter.

Sepp Blatter – für die beiden Freunde ist er der Schattenmann, der ihr Land ins Unglück stoßen will und deshalb die brutalstmögliche Bestrafung anordnete. In Sachen Kamerun ließe Blatter jegliches Fingerspitzengefühl vermissen. Das habe sich schon in Paris gezeigt, beim Confederration-Cup 2003. Kameruns Nationalspieler Marc Vivien Foè brach damals auf dem Spielfeld zusammen und starb. Die Nationalmannschaft hatte Kolumbien zwar besiegt, doch niemand wusste, ob nach der Tragödie noch weitergespielt werde. Fast niemand. Nur für den FIFA-Präsidenten Blatter habe das schon fest gestanden: Ob mit oder ohne Kamerun, das Finale finde statt, erinnert sich Bayock zornig an Blatters Rede. „Das ist eine Frage des Stils“, klagt Dikobe und wirft dem Schweizer Fußballboss vor, das alles nur zu tun um dem Kameruner Fußballpräsidenten Issa Hayatou zu schaden, der auch bei den nächsten FIFA-Wahlen als Gegenkandidat auftreten könnte.

„Fußball ist die Klammer für Kamerun“, sagt Bayock. In dem Vielvölkerstaat in West-Zentralafrikas werden 250 Sprachen gesprochen. Es gibt einen frankophonen und einen anglophonen Bevölkerungsteil. „Fußball spielt bei uns jedes Kind“, weiß Dikobe – das sei „die natürlichste Sache der Welt“. Zum Fußball brauche es nicht mehr als ein paar Fetzen Papier, eine Straße. „Fußball ist unsere Kultur“, sagt der Essener IT-Berater. „Man hat nichts anderes“.

Erst durch den Fußball, die Kapriolen von Roger Millar bei der Weltmeisterschaft 1990, wurde Kamerun zu einem bekannten Fleck auf der Weltkarte. „Bei Deutschland denkt die Welt an Mercedes, bei Kamerun an Fußball“. Stolz sind sie darauf, so bekannt geworden zu sein. „Niemand weiß, was politisch in Kamerun geschieht, aber jeder kennt unseren Fußball“.

Und nach der WM 1990 habe sich auch in Deutschland einiges verändertg. Dikobe erinnert sich an einen Krankenhausaufenthalt: Als der Chefarzt hörte, er sei aus Kamerun, habe er ihn begeistert empfangen und darauf bestanden, selbst zu behandeln: „Der Fußball ist für uns ein Schlüssel, den lassen wir uns nicht von Blatter kaputt machen!“

Über Roger Millar und den deutschen Nationaltrainer Winfried Schäfer hinaus ist in Deutschland nur wenig über Kamerun bekannt – auch das will Paul Dikobe ändern. Im Herbst plant er und der „Kamer-Club Essen“ eine Veranstaltung. Titel: 120-Jahre Deutsch-Kamerunische Begegnungen. Referenten werden kommen, Historiker und Wirtschaftsleute, Diplomaten, auch Kameruns Weltstar Manu Dibango hat er zu dem Treffen eingeladen: „Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, gute Beziehungen zu pflegen“, freut sich Dikobe.

„Es begann ja schon 1884 mit einem Schutzvertrag zwischen dem deutschen Reich und einigen Königen in Kamerun – doch jede Seite hat in den Vertrag etwas anderes hinein gelesen.“ Für die einen war es eine Kolonie, für die anderen ein Bündnis. Der Wahlruhrgebietler erinnert gerne an die dreißig Jahre deutsche Vertragsherrschaft in Kamerun. Auf dem Couchtisch liegen Mappen mit Briefmarken, Postkarten im deutschen Kolonialstil. „Vor hundert Jahren gab es im deutschen Reich schwarze Journalisten mit eigenen Zeitschriften“ – Kolonialismus war nicht nur eine Einbahnstraße. Die Kameruner Führer hätten dutzendseitige Petitionen und Eingaben an den Reichstag aufgesetzt: „Und ich kann heute immer noch nicht fehlerfrei deutsch schreiben“, wundert sich Dikobe. Auch das Revier habe eine besondere Geschichte mit Kamerun. Die Firma Krupp baute die erste Eisenbahn des Landes. Bis 1914 entstanden knapp 200 Kilometer der so genannten Mittellandlinie. Auf der Strecke rollen noch heute Züge.

Die Begegnungsveranstaltung passe auch gut in die politische Landschaft: Die deutsche Bundesregierung unterhalte enge Beziehungen mit Kamerun, Kredite für Wiederaufbau würden dem Land großzügig bewilligt. Deutschland tue das auch aus strategischem Interesse: Vor Kameruns Küste lagern Ölvorkommen.

In den 1990er Jahren hat sich Kamerun verändert, die Einparteienherrschaft wurde durch ein pluralistischeres System abgelöst: „Auch in Kamerun hat sich mit Perestroika und Glasnost etwas getan“, sagt Bayock. Und wieder ein Bezug zu Nordrhein-Westfalen: Die Kameruner Demokratiebewegung, die Opposition habe ein starkes Standbein im Ruhrgebiet: „Hier leben sehr viele engagierte Leute“, sagt Dikobe.

In den letzten Wochen galt ihr Einsatz allein dem Fußball. Auf den beiden Bildschirmen steht der gleiche Slogan: „Give us our six points back“. Die Homepage des Fanclubs rief auf zum Protest gegen das harte Urteil. Ihr frisch gegründeter Fanclub „Kamerun Lions“ wurde zum virtuellen internationalen Drehkreuz des Protestes (www.camlions.com). Elf Argumente gegen das Urteil haben sie zusammen getragen unter einer putzigen Überschrift: „Elf Punkte warum das FIFA Elfmeter nicht Fair-Play ist“.

Wenn am Mittwoch die besten Mannschaften Europas das Champions League Finale in Gelsenkirchen bestreiten, wollten auch Dikobe und Bayock auf das Unrecht an Kamerun aufmerksam machen.

Am Wochenende haben sie ihren Protest abgeblasen. Kameruns Fußballverband muss zwar die 130.000 Euro Geldstrafe berappen; die Hälfte der Jahreseinnahmen. Doch mit einer eitlen Geste der Großmut begnadigte Schattenmann Sepp Blatter das Kameruner Nationalteam auf der FIFA-Jubiläumsvollversammlung. Für die Revier-Kameruner sind das nur sechs Punkte mehr auf dem Weg nach Deutschland.