berliner szenen Wer nie Tourist war

Pharisäer aus Schwaben

Neulich war ich mal in der Kastanienallee am Prenzlauer Berg. In Prenzelberg, wie angeblich die Schwaben sagen, oder Prenzlberg oder Prenz’l Berg. Die anderen Schwaben, diejenigen also, die schon länger da sind, lachen dann hämisch. Die Häme soll dem Schwabenküken aus Heide oder Hildesheim anzeigen: „Du hast da gerade einen schlimmen Anfängerfehler gemacht!“

Die Altschwaben wohnen ja jetzt in Friedrichshain. In Friedelhain, wie angeblich die Westfälinnen sagen, oder Friedlhain oder Fried’l Hain. Dort sieht es schon lange genauso aus wie hier, dieselben stonewashed Kneipen, dieselben Sushiläden, dieselbe von einem geschickten Tourismusmarketing arrangierte Lebendigkeit. Gegen die hab ich ja immer gewettert: feine Spitzen abgeschossen, meinen authentischen Kind’l-Slum gelobt, mich zwischen den Zeilen gar moralisch über die netten jungen Leute erhoben.

Alles Lüge – schön ist es in der sonnenbeschienenen Kastanienallee: auf belebten Bürgersteigen patrouillieren gepiercte Rheinländerinnen und tätowierte Franken. An jeder Ecke Hessen, die scheinbar spontan Musik machen. Vor Kneipen sitzen Bayern und trinken Bier. Ich muss zugeben, mir gefällt die Gegend. Hätte ich Arbeit und Geld, würde ich auch hier wohnen wollen und nicht in meinem „geliebten“ Neukölln, wo ich lebendig begraben bin.

Immerhin ist es schön bunt hier. Alles voller Touristen und Westdeutscher? Na gut, ich habe gar nichts gegen die – einige meiner besten Freunde sind Touristen und Westdeutsche. Ach ja, und ich selber auch, dazu noch Heuchler und Pharisäer. Und da behaupten Frauen noch, ein Mann könne nie mehr als eine Sache auf einmal erledigen.

ULI HANNEMANN