Mit den Einhörnern flüstern

Lust auf Entdeckungen und ein Gespür für zukünftige Entwicklungen zeichnet die Kuratorin Klara Wallner seit 15 Jahren aus. Jetzt eröffnet sie ihre eigene Galerie mit Nicole Bianchet, die mit Suspense und romantischen Gesten arbeitet

Ein Kriminalroman könnte so beginnen: Das junge Mädchen befand sich in einem üblen Zustand. Nasse Erde klebte in den langen, dunklen Haaren und auf der pergamentweißen Haut. Die Erde zeichnete dunkle Flecken auf ihre abgetragene Strickjacke, ihrem einzigen Kleidungsstück jenseits der Schuhe. Deren Rot stach aus der Tristesse der vom Blitzlicht aufgehellten Szenerie heraus. Im Dreck ausgerutscht, so steht zu vermuten. Und nun aufgegriffen im Nirgendwo der regennassen Nacht; zu benommen, um sich zu erinnern, was geschehen ist.

Doch beschreiben lässt sich so im Stil eines Kriminalromans eine dreiteilige Fotoarbeit von Nicole Bianchet. Ein riskantes Spiel mit dem Thrill, möchte man meinen, denn schließlich eröffnet dies Triptychon eine neue Galerie. Klara Wallner hat sich dafür die Räumlichkeit mit den großen Fenstern zur Brunnenstraße von dem jungen Berliner Architekten Bernd Bess als unauffällig-eleganten, zurückhaltenden Kunstraum einrichten lassen. Mit der ihr eigenen Kühnheit eröffnet sie ihre Galerie mit einer jungen Künstlerin; zweifellos einem Talent, für deren Entwicklung die Galeristin wird einstehen müssen.

Aber genau das treibt Klara Wallner an. Als freie Kuratorin ist sie seit 15 Jahren weithin bekannt, eben weil sie mutig und instinktsicher sehr früh mit Künstlern wie Maria Eichhorn, Olafur Eliasson, Rémy Markowitsch, Olaf Breuning oder Zilla Leutenegger zu arbeiten begann, die wenig später den internationalen Durchbruch schafften. Als Erste erkannte Klara Wallner auch das Potenzial von Jürgen Teller, das weit über die Modefotografie hinausreicht, wo er – als Wallner ihn 1997 für das Buchprojekt „Brechts Berlin“ mit Michael Rutschky gewann – ein Star war.

Auffallend ist, wie die Titel der von ihr kuratierten Ausstellungen stets von ihrer Unternehmungslust sprachen und frei heraus ihr Programm benannten: Mit „A space without art“ brachte sie Anfang der 90er-Jahre Kunst an vermeintlich öde Orte, die heute anders denn als Orte der Kunst gar nicht mehr denkbar scheinen.

Mit „Come in and find out“ appropriierte sie dann Ende der 90er-Jahre die Douglas-Drogerien-Reklame auf eine solch unverschämt-glückliche Weise, dass man darin schon ein Lebensmotto vermuten wollte. Hätte sie nicht 2003 mit dem Malcolm-McLaren-Slogan „Subversiv, sexy, stilvoll“ erneut gekontert, um heutige Malerei ins Rampenlicht zu rücken. Für eine Gruppenschau in Jena, die zunächst als Ausstellungsserie in der Berliner Galerie Michael Wewerka begann, stellte Klara Wallner wieder neue Entdeckungen vor – neben Künstlern, mit denen sie schon länger arbeitet wie Joachim Gromek oder Flora Neuwirth. Mit Hannah Doherty, Tobias Lehner, Steven Black oder Wawrzyniec Tokarski traf hier Pop auf Tradition, verbündete sich Zeitgeist mit Handwerk. Und Realität mutierte in Vision wie bei Nicole Bianchet.

„Some place where there isn’t any trouble / You should clap your red shoes“, so paradox wie märchenhaft lautet der Titel des Triptychons, in dem sich die 29-jährige Künstlerin selbst in Szene gesetzt und fotografiert hat. Dass Nicole Bianchet in Los Angeles geboren wurde, wo der Privatdetektiv Philip Marlowe solchen gefallenen Engeln begegnete, scheint nicht weiter verwunderlich. Doch Bianchet mischt noch andere Formen der Romantik in ihre Installation als nur die des Film Noir. So erinnert eine Art runde Schießscheibe an den abstrakten delirierenden Farbrausch der 60er-Jahre an der linken Galeriewand, und an der rechten zeigt „Behind the moon beyond rain“ einen Vollmond, wie er in einem Romantiker-Gemälde des 19. Jahrhunderts nicht schöner zu finden wäre. Dabei zeigt die Fotografie einfach die Spiegelung der Sonne in einer Berliner Pfütze.

Die Verwandlung des Gewöhnlichen wird hier als das Wunderbare ausgestellt; das gilt auch für das Triptychon, das eine Paraphrase auf die Erfindung der Malerei durch jene Frau sein mag, die den Schatten ihres Geliebten, bevor er in den Krieg zog, auf eine Wand zeichnete; der Schatten ist hier eben der Flecken im Gewebe. „Es gibt noch Einhörner“, ist denn auch die Künstlerin überzeugt und nannte so eines ihrer Gemälde. Klara Wallner ist glücklicherweise der gleichen Meinung. Sie findet sie ja schon seit langem. Sie fängt sie und flüstert mit ihnen – um sie uns nun in ihrer eigenen Galerie vorzustellen, endlich.

BRIGITTE WERNEBURG

Bis 3. Juli, Galerie Klara Wallner, Brunnenstr. 184, Di.–Sa. 12–18 Uhr