Öffnung des KGB-Archivs vorerst gestoppt

Lettlands Präsidentin Vaira Vike-Freiberga legt gegen Gesetz Veto ein. Russische Minderheit spricht von „Hexenjagd“

MOSKAU taz ■ Lettlands Russen empfanden den Vorstoß als weiteren Affront, der indirekt zur „Hexenjagd“ einlade. Vergangene Woche verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das tausende von KGB-Akten aus sowjetischer Besatzungszeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hätte. Wäre da nicht Lettlands Präsidentin, Vaira Vike-Freiberga, die jetzt ihr Veto einlegte.

Es geht um die Mitarbeiterkartei des sowjetischen Geheimdienstes, der zwischen 1953 und 1991 rund 25.000 Zuträger in der baltischen Sowjetrepublik angeworben hatte. Das KGB brachte auf dem Rückzug 1991 noch rechtzeitig 20.000 Akten in Sicherheit. Bislang können Bürger nur Einsicht in die eigene Mappe nehmen. Wer ein öffentliches Amt oder Beamtenverhältnis in „sensiblen Bereichen“ anstrebte, der musste immer fürchten, dass ihn die Vergangenheit einholte. Der sozialdemokratische Parlamentarier Bojars stolperte 1993 und Parteifreund Adamsons 2000 über die Zughörigkeit zum Kreis der informellen Mitarbeiter. Es traf Letten, nicht Russen.

Das Archiv wird demnächst vom Dokumentationszentrum für Folgen des Totalitarismus in Riga verwaltet. Dessen Leiter, Indulis Zalite, befürwortet die Öffnung des Archivs, warnt aber, mit den Daten nicht leichtfertig Politik zu machen. Die großen Fische, die sich in den 40er- und 50er-Jahren die Hände blutig gemacht hätten, seien rechtzeitig nach Moskau ausgelagert worden. 85 Prozent der Mitarbeiter in der Restkartei waren nicht in politische Aktivitäten verstrickt und oft einfache Angestellte, die keiner Agententätigkeit nachgegangen sind. Die russische Zeitung Gaseta vermutet unterdessen, dass der eine oder andere Informant, der 1991 in der Kartei geführt wurde, noch heute für die KGB-Nachfolgeorganisation FSB die Fühler ausstreckt.

Der Zeitpunkt der Öffnung ist nicht zufällig. Bislang landete jeder vor Gericht, dessen Mitarbeit im KGB ruchbar wurde. Anfang Juni tritt dieses Gesetz außer Kraft. Dann stehen Wahlen zum Europaparlament an, die keine Ausschlussklauseln dulden. Riga fürchtet, Abgeordnete wie Tatjana Zdanoka, eiserne Lady der russischen Opposition, würden die Strassburger Bühne nutzen, um dem Ansehen des Landes zu schaden. Russland könnte zur Entspannung beitragen, indem es die widerrechtliche Besetzung des Baltikums eingestünde und sich für Tod und Vertreibung hunderttausender Balten entschuldigte. Doch solange Furcht vor der eigenen Geschichte überwiegt, bleiben Nachbarn misstrauisch. KLAUS-HELGE DONATH