Indien: Jeder Dritte darf Minister werden

Indiens seit dem Wochenende regierende Kongresspartei ist in der Koalitionspolitik ungeübt. Premier Manmohan Singh macht ein Drittel der Regierungsabgeordneten zu Ministern. Trotzdem gibt es schon Streit um Pfründen

DELHI taz ■ Der Abgeordnete Mohammed Taslimuddin aus dem Bundesstaat Bihar hat sein Parlamentsmandat in Delhi nicht zuletzt dank Wählereinschüchterungen durch seine Getreuen gewonnen. Seit Samstag war er einer der 68 Abgeordneten, die Premierminister Manmohan Singh für ein Ministeramt auserkor. Gegen Taslimuddins Parteichef Laloo Prasad Yadav, Präsident einer Regionalpartei und jetzt Eisenbahnminister, laufen Korruptionsverfahren.

Singh muss dennoch nicht befürchten, dass sein Ruf als absolut integrer Politiker auf dem Spiel steht. Die Inder wissen nur zu gut, dass demokratische Politik in einem Land mit einer Milliarde Menschen die Kunst des Möglichen ist. 20 Parteien stellen sicher, dass die Kongresspartei mit ihren 145 Mandaten im 543-sitzigen Parlament dennoch eine regierungsfähige Mehrheit zusammenbringt. Dies lassen sich Politiker wie Yadav bezahlen, indem sie für sich und ihre Getreuen Ministerposten beanspruchen – möglichst solche, die Klientelwirtschaft erlauben.

Die südindische DMK, die mit acht Ministern ein ganzes Drittel ihrer Abgeordneten ins Kabinett gehievt hat, war dennoch unzufrieden, da sie nicht die gewünschten Ressorts erhielt. Sie befahl den Auserwählten am Sonntag, ihre Ämter vorläufig nicht anzutreten.

Es ist das erste Mal, dass der Kongress, der Indien 45 Jahre allein regierte, eine Koalition führt. Singh war daher sorgfältig darauf bedacht, neben den assoziierten Parteien auch auf die verschiedenen Regionen und Kasten Rücksicht zu nehmen. Die große Diversität Indiens erklärt denn auch, warum mit 68 Ministern ein gutes Drittel der Allianz-Abgeordneten zu Amtsträgern gekürt wurde. Die meisten Staaten und Regionen mussten ebenso berücksichtigt werden wie die Minderheiten. Muslime und Dalits sind stark vertreten, während die Frauen mit sieben Posten Vorlieb nehmen müssen.

Sonia Gandhi, deren Verzicht auf das oberste Amt den Weg für Manmohan Singh freigemacht hatte, stellte ebenfalls sicher, dass unter den Kongress-Ministern ihre Getreuen nicht zu kurz kamen. Mit Ausnahme von Finanzminister P. Chidambaram gingen die Schlüsselministerien an Gandhi-Loyalisten aus früheren Kongress-Regierungen. Der frühere Diplomat Natwar Singh wird Außenminister, Pranab Mukherjee übernimmt das Verteidigungsressort, und der frühere Parlamentspräsident Shivraj Patil wird Innenminister.

Nach der Vereidigung umriss Singh noch einmal die Prioritäten seiner Regierungspolitik. Er nannte als Erstes die Stärkung der religiösen Toleranz als ein Fundament der Indischen Republik. Dies betrifft in erster Linie die Bildungspolitik, nachdem die bisher regierende BJP in den letzten sechs Jahren die Lehrpläne immer mehr auf die Glorifizierung der Hindus und die Dämonisierung der Minderheiten ausrichtete. Als Architekt der Wirtschaftsreformen der frühen 90er-Jahre will Singh auch sozialen und wirtschaftlichen Wandel voranbringen, wobei das spezielle Augenmerk den Armen gelten soll. Schließlich will die neue Regierung auch zu Sicherheit und Frieden in der Region beitragen und die Annäherung mit Pakistan weiterführen. In seiner Reaktion auf den jüngsten Terroranschlag am Sonntag in Kaschmir, bei dem 33 Personen starben, enthielt sich Singh einer Kritik an Pakistan. Das Attentat zeige, sagte er, wie wichtig eine Lösung dieses Problems sei.

BERNARD IMHASLY

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