Der Stabilitätspakt wird zur Machtfrage

Inhaltlich wird in Brüssel kaum über die Maastrichter Kriterien diskutiert. Der Konflikt über eine mögliche Erneuerung des Paktes wird auf der Machtebene ausgetragen. Und dabei positionieren sich wieder einmal die Großen gegen die Kleinen

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Schlechte Zeiten für ehrliche Buchhalter. Der Europawahlkampf hat begonnen, da ist Sparen ein arg trockenes Thema. Außerdem ist die EU-Kommission so schwach wie lange nicht. Währungskommissar Pedro Solbes, der sich als unbestechlicher Verfechter des Stabilitätspaktes einen Namen gemacht hatte, ist als Minister nach Madrid umgezogen. Sein Nachfolger Joaquín Almunia versichert zwar, er werde die harte Linie fortsetzen. Doch angesichts der ungerührten Haltung von Deutschland, Frankreich und nun auch Italien wirken seine Beteuerungen wie Pfeifen im Wald.

Während allgemein kaum jemand bestreitet, dass die Gemeinschaftswährung ohne Sanktionen für Schuldenmacher nicht funktionieren kann, verlangen im Speziellen immer mehr Finanzminister eine Aus-zeit. Deutschland hat das Tabu zuerst verletzt, als es dafür sorgte, dass der fällige blaue Brief nicht abgeschickt wurde. Seither wird die Liste der Nachahmer immer länger. Zuletzt erreichte Italien Mitte Mai, dass ein blauer Brief in der Schublade blieb.

Selbst wenn der Europäische Gerichtshof im Sommer im Eilverfahren die Linie der Kommission bestätigen sollte, dass das Aussetzen des deutschen Defizitverfahrens im November regelwidrig war, bleibt das letzte Wort beim Ministerrat. Dort würde ein Gerichtsurteil allenfalls den pakttreuen Ländern eine moralische Unterstützung verschaffen – an den Machtverhältnissen änderte sich nichts.

Der Konflikt wird vor allem auf der Machtebene ausgetragen: Die großen Länder Deutschland, Frankreich und Italien scheren sich nicht mehr um die Regeln, die Kleinen fühlen sich düpiert. Allen voran Portugal, das auf den Pfad der Spartugend zurückkehrte, aber auch Holland, das stets erklärt hat, alle Sanktionen, die der Pakt vorsieht, klaglos zu akzeptieren.

In der Umbruchphase der Europäischen Union ist der Stabilitätspakt zu einem Machtfaktor unter vielen geworden. Derzeit bewegt vor allem die Frage, welcher Partei Romano Prodis Nachfolger angehören wird. Wird er ein Wunschkandidat der kleinen Länder sein, oder können sich Deutschland, Frankreich und Großbritannien auf einen Vorschlag einigen? Wird auch künftig jedes Land in der Kommission vertreten sein? Erhält in der neuen Verfassung der Währungskommissar das letzte Wort beim Defizitverfahren? Nur das würde dem Pakt seine Wirksamkeit zurückgeben.

Dabei treten die wirtschaftspolitischen Aspekte völlig in den Hintergrund. Die Vorsitzende des Wirtschafts- und Währungsausschusses im EU-Parlament, die sozialdemokratische Abgeordnete Christa Randzio-Plath, hat kürzlich die Frage gestellt, was ein ausgeglichener Haushalt wert sei, wenn gleichzeitig die Arbeitslosenquote ständig steige. Randzio-Plath muss sich das Nachdenken nicht verbieten lassen, denn für die kommende Europawahl stellt ihre Partei sie nicht mehr auf.

Ansonsten aber findet die inhaltliche Debatte um die Wirtschafts- und Währungspolitik allenfalls in den Studierstuben statt. Einen Stabilitätsfonds nach finnischem Vorbild wünschen sich viele. Er soll in Phasen guter Konjunktur bestückt werden, um für magere Jahre zur Verfügung zu stehen. Die EU-Kommission will noch vor der Sommerpause Vorschläge vorlegen, wie der Stabilitätspakt „intelligenter“ werden kann. Dabei soll vor allem die Gesamtverschuldung stärker berücksichtigt werden. Dann hätte der neue Kommissionspräsident über die Ferien Zeit, sich klar zu werden, ob er die Reformideen billigt oder sie so dumm findet wie Prodi den derzeitigen Pakt.